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Helmut Reinicke
Für Krahl
»Ist das
Wahre abstrakt, so ist es unwahr.«
Hegel
I.
Eine Darstellung der intellektuellen Biographie der Revolt
am Denken von Hans-Jürgen Krahl (1944-1970) bedarf nicht des jeweils
akribischen Nachweises der gelungenen marxistischen Ableitung jeder Kategorie.
Nicht auf das hausmannskostartige Räsonnement kann es ankommen, den Versuchen
einer Rekonstruktion der revolutionären Theorie auf jeder Stufe vorzuhalten,
sie habe Theoreme der Marxschen Lehre ungenügend abgeleitet oder die Totalität
nicht im Griff. Oft sind Krahls Gedanken noch mit den Muttermalen der
Kritischen Theorie behaftet, - selbst seine letzten Arbeiten, die den
mittlerweile ausgesessenen Metaphysikverdacht, ein Apriorismus läge der
Revolution in der Theorie des historischen Materialismus zugrunde, an Marx
herantragen. Dies sind Relikte, welche die weiteren Debatten über materialistische
Erkenntnistheorie nicht mehr zum Gegenstand ihrer Überlegungen zu machen
brauchen; Krahls Arbeiten haben selber dazu beigetragen, dass die
Rekonstruktion der Marxschen Lehre den seit der II. Internationale und dem
Stalinismus angestammten Vorurteilen nicht mehr aufsitze. Verkürzungen
Marxscher Begriffe oder die oft spekulativen Ableitungen kennzeichnen die Eile,
in der zur Zeit des aktiven Widerstandes der Hochschulrevolt gedacht werden musste;
sie sind zugleich Index für die Notwendigkeit revolutionären Denkens, sich
auch als vorübergehendes Theorem festhalten zu müssen, als transitorisches
Denken.
II.
Gegen Ende des letzten Jahrhunderts konnte Friedrich Engels,
angesichts einer während der Sozialisten-Gesetze Bismarcks »pausbäckig«
gewordenen Sozialdemokratie, die Revolte der jungen Parteimitglieder - gegen
die Vertrauensseligkeit des organisierten Proletariats auf den objektiven Gang
der Geschichte zum Sozialismus - mit leichter Hand auf die Bedingungen des
Parteikampfes verweisen; ihr »todesverachtendes Nehmen von Hindernissen in der
Phantasie« quittierte er mit der Bemerkung, sie hätten mehr von den Arbeitern
zu lernen als diese von ihnen.
<4> Nachdem der Kapitalismus wieder pausbäckig
geworden war und Sozialdemokratie und kommunistische Parteien vollends die »liberale
Sicherheit« (Rosa Luxemburg) eines evolutionären Geschichtsprozesses sich
anbequemt hatten, gingen in die Bildungsgeschichte linker Subjektivität andere
Erfahrungsdimensionen ein, als dies zu Zeiten eines organisiert auftretenden
kämpfenden Proletariats der Fall war. Wie kommt es, dass Individuen mit
bürgerlicher oder kleinbürgerlicher Herkunft, deren Privilegien im noch
funktionierenden Kapitalismus garantiert sind, »zur Rebellion und zur
Revolution überlaufen, (...) sich fortschrittlichen Sozialrevolutionären
Bewegungen anschliessen« und »zur roten Fahne überlaufen« (S. 30)
?
Hans-Jürgen Krahls Tod durch einen Autounfall im Februar
1970 war ein nicht zu ermessender Verlust für die Emanzipationsbewegung in den
Metropolen. Die kurze politische Biographie von Hans-Jürgen Krahl, dessen
Agitationstätigkeit und theoretische Arbeit die Politik der Protestbewegung
wesentlich mitbestimmt haben, reflektiert die Bildungsprozesse vieler junger
Linker, die nicht mehr den Sitz der Vernunft in einer kommunistisch
-revolutionären Partei vorfinden; die lange Umwege durchgehen, um ihre
bürgerliche Klasse zu verraten und sich den angestammten Zusicherungen der
Herrschaft zu entziehen. Für Hans-Jürgen Krahl begann der Prozess politischer
Selbstverständigung mit einer »Odyssee durch die Organisationsformen der
herrschenden Klasse« (S. 20). Krahls intellektueller Bildungsgang von der »imperialistisch
abenteuernden Philosophie« Heideggers zum »fortgeschrittenen logischen
Positivismus und schliesslich zur marxistischen Dialektik« korrespondiert dem
Aufklärungsprozess »vieler derjeniger (...), die es von ihrer Klassenlage her
eigentlich nicht nötig haben, sich der Praxis des Proletariats zuzurechnen,
denen aber Übelkeit ankommt, wenn sie ihre eigene Klasse und ihre eigenen
Klassengesellen kennenlernen (...)« (S. 21). »Nachdem mich die herrschende
Klasse rausgeworfen hatte, entschloss ich mich dann auch, sie gründlich zu
verraten, und wurde Mitglied im SDS. Im SDS erfuhr ich zum ersten Mal, was es
heisst: Solidarität - nämlich Verkehrsformen herauszubilden, <5> die sich aus den Unterdrückungen und
Knechtungen der herrschenden Klasse lösen.« (S. 22)
Diese Verkehrsformen kennzeichneten indessen erst jene Stufe
der vorab noch negatorisch von den bürgerlichen Lebensverhältnissen
abgezogenen Perspektiven neuer Sittlichkeit - dass Sittlichkeit mit Freiheit
und Konstitution emanzipativer Kollektivität und Solidarität einhergehen muss,
war schon Thema der revolutionären Bourgeoisie, des jungen Hegel - und neuer
Sinnlichkeit, die sich aus der Kampfweise der Revolt in den Metropolen
entwickelten und nicht in der Konnotation von »antiautoritär« blind aufgehen.
Anders als in der bürgerlich immanent bleibenden Negationsform der Boheme, die
heutigentags sich drogenkultlerisch oder religiös-archaisierend mumifiziert
hat, bemass sich der Versuch, innerhalb der Existenzweise spätkapitalistischer
Herrschaftsformen in den Metropolen partisanenhaft die Bedürfnisse nach
Freiheit zu gestalten, stets an der Praxis politischer Aufklärung als
vorläufiger Kampfform: damals der durch Protestation. Als deren Agitator sah
die studentische Revoltbewegung von San Francisco, Paris und Berlin angesichts
der spätkapitalistischen Manipulation der Köpfe der Unterdrückten ihre
historische Aufgabe; es war Aufklärung, welche der Sozialistische Deutsche
Studentenbund (SDS) vermittels des Protests als Gegenseite von Verschleierung
und Manipulation massenhaft materialisieren wollte, sich abarbeitend an den »Institutionen
der Unterdrückung«, der »Zwangsgewalt von Recht und Staat«. »Das bedeutet - und
das ist auch die Rolle, die wir im SDS als Intellektuelle in der Aktualisierung
des Klassenkampfes zu übernehmen haben - , dass wir im praktischen Kampf die
Theorie entfalten müssen, die für das Proletariat, seine Sprach- und Bewusstseinswelt
die Herrschaft hier im Spätkapitalismus verständlich macht, die so unendlich
manipulativ und integrativ überdeckt ist, sie entschleiert und aufdeckt; dass
es unsere Funktion ist, als politische Intellektuelle unser Wissen in den
Dienst des Klassenkampfes zu stellen.« (S. 23)
In unablässiger organisatorischer und theoretischer Arbeit
ging Krahl daran, die überkommenen Formen politischer Praxis und Theorie mit
den anstehenden politischen Kämpfen zu vermitteln. Sein Nachlass, »Konstitution
und Klassenkampf . Zur historischen Dialektik von bürgerlicher Emanzipation
und proletarischer Revolution«, enthält »Schriften, Reden und Entwürfe aus
<6> den Jahren 1966-1970«. Aus dem uneinheitlichen Stand von
Geschlossenheit der jeweiligen Schriften lässt sich ablesen, dass sie ohne den
Hintergrund der täglichen agitatorischen Arbeit nicht rezipiert werden können.
Hier werden nicht Finessen linker Theorie ans Licht gerückt, sondern von
verschiedenen Ansätzen her die Konstitutionsbedingungen von Klassenbewusstsein,
von revolutionärer Subjektivität reflektiert, wie sie die veränderten Formen von
revolutionärem Kampf und proletarischem Bewusstsein seit Marxens »Kapital« und
schließlich das Ausbleiben einer nach dem großen Oktober übergreifenden
Revolution - mit dem verfänglichen Erfolg des Aufbaus des Sozialismus in einem
Lande - für die Rekonstruktion von revolutionärer Theorie erheischen .
Es bezeichnet nun den Status der antikapitalistischen
Protestbewegung, dass exemplarische Aktionen, welche die Massen mobilisieren
sollten, von den Erkenntnisträgern der bürgerlichen Gesellschaft in Parade
gesetzt wurden; die Kampfform war mithin keine revolutionär-proletarische, die
roten Helden waren nicht der Tradition der westeuropäischen
Emanzipationsgeschichte entnommen, es waren »Che Guevara, Fidel Castro, Ho
Tschi Minh und Mao Tse-tung« (S. 23). Sie repräsentierten den proletarischen
Internationalismus und versicherten zugleich die revolutionäre Zielsetzung der
Bewegung. »Gibt es über die von Marcuse allein für möglich gehaltene
Solidarität der Vernunft und des Sentiments hinaus eine konkretere Basis für
die Solidarisierung der Protestbewegung in den Metropolen mit den Befreiungsbewegungen
in der Dritten Welt? Wie vermittelt sich die reale weltgeschichtliche
Aktualität der Revolution zu unseren Tagesaktionen der Protestbewegungen in den
Metropolen?« (S. 145).
Die revolutionären Bewegungen der Dritten Welt hatten nicht
nur praktische Kämpfe der Revolt vorgehalten; es kennzeichnet auch den »Zerfall
des Theoriebewusstseins« (S. 307), dass Revolutionäre wie Che Guevara nicht
mehr in ihrer theoretisch-praktischen Stringenz studiert werden. Che's
Arbeiten über den im Kampf herzustellenden und für den Aufbau unabdingbaren »neuen
Menschen«, sowie seine Beiträge zur Kategorie der Ware und des Werts, sind
nicht nur Momente jener Restitution der Marxschen revolutionären Theorie; sie
wurden vermöge eines Befreiungskampfes gewonnen - nicht seminarmarxistisch aus
der <7> theoretischen Tradition abgeleitet - und galten deshalb als Beispiel
der herzustellenden Einheit von Theorie und Praxis. »Zwar kann sich in den
Metropolen der Kampf nicht als eine unkritische Übertragung der
Guerillastrategie darstellen. Diese liefert aber ein Modell kompromisslosen
Kampfes, von dem die traditionelle Politik der verfestigten Institutionen
verurteilt werden kann , von dem auf jeden Fall die faulen Kompromisse der
sowjetischen Politik , die überall die revolutionären Befreiungsbewegungen im
Stich lässt/ verurteilt werden können.« (S. 147)
Einmal drückt sich in der Bornierung der Revolt auf die
zukünftigen Kopfarbeiter nicht bloß mangelhafte Strategie aus, die von diesen
Köpfen ausgeheckt worden wäre. Andererseits ergab sich aus der spezifischen
Agitations- und Organisationsweise, aus jenen substitutionalistischen
Vorgriffen sozialistischer Studenten, die das Bewusstsein massenhaft verändern
wollten, dass mit dem Übergehen der Bewegung zur außeruniversitären Arbeit - im
Betrieb oder in Stadtteilen - sich ebenso politische Gruppen bildeten, die das
Gegenteil jener rätedemokratischen Intentionen, welche die Revolt zu
entwickeln suchte, vorstellten: zentristisch organisierte Parteienbildungen und
eine Hierarchie der Kader. Der emanzipative Begriff des Antiautoritären wurde
im Verlauf der Revolt zugleich revoziert und organisatorisch beseitigt. Die
Revolution erhielt das spätjakobinische Gewand der Aktualität der Revolution in
der Subjektivität der je vorhandenen Partei. Damit war die Konstruktion neuer
Bedürfniswelten, die Entfaltungsformen neuer Sinnlichkeit im Verlauf des
Kampfes zu seinem Vollzug, dem moralischen Pathos des gesetzten revolutionären
Kollektivs gewichen. Die Intention, sich massenhaft zu mobilisieren, verkehrte
sich zum dichotomischen Bewusstsein von der Masse und den Kadern. Mit einer
Dialektik, als hätte Hegel sie eingegeben, lösen sich die Formen des
spätkapitalistischen sozialistischen Kampfes in zwei Seiten der Medaille auf -
wie der antagonistische Charakter der kapitalistischen Akkumulation-,
seine Repulsion und Attraktion, seine eigenen Negationsformen sich aufzwingt.
<8> Hans-Jürgen
Krahl, einer der agitativsten Theoretiker, den die Revolt hervorbrachte, war
sich der noch bürgerlichen Bornierung der Bewegung bewusst und versuchte sie
doch als Etappe auf dem Wege zum herzustellenden revolutionären Kampf zu
begreifen; die »Söhne aus der bürgerlichen Klasse« waren »gleichsam übergelaufen
( . ..) zu der Klasse, in der sich die befreiende Menschheit repräsentiert,
nämlich im Proletariat« (S. 24) - freilich war dieses Überlaufen vorerst in den
Köpfen der Individuen passiert, noch nicht Ausdruck praktischer Erfahrungen.
Der Erkenntniszusammenhang, der für Intellektuelle die Motivation des antiautoritären
Protests begründete, ging durch die Einsicht, dass die Versprechen der
bürgerlichen Revolution von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit
kapitalistisch nicht organisierbar sind; »Freiheit, Gleichheit, Eigentum und
Bentham« (Marx) sind selber konstitutiv für die Ideologie des bürgerlichen Tausches;
es sind Kategorien der Zirkulationssphäre, welche die Ungleichheit verdecken,
dass nach Maßgabe der Ideologie des freien Tausches der Kapitalist sich
Lohnarbeiter eintauscht,« die, werden sie in der Produktion vernutzt, dem
Kapitalisten Mehrwert einbringen. Die bürgerliche Gleichheit ist nur Schein;
sie beruht auf Ungleichheit, auf der Ausbeutung der Ware Arbeitskraft, die
jedoch hinter der einfachen Warenzirkulation zwischen Ware Arbeitskraft und
Salär verschwindet. Mit der Einsicht in diese Bedingung der bürgerlichen
Gesellschaft war zugleich die Vorstellung eines von der ausbeuterischen
bourgeoisen Welt abgehobenen bürgerlichen Individuums zerstört, an dem freie
Subjektivität und bürgerliche Identität sich festgemacht hatten. Bürgerliche
Identität bildete sich »auf der Basis des Privateigentums, realisierte sich auf
dem freien Markt und lebte seiner lebensgeschichtlichen Perspektive zufolge aus
dem Streben nach Profit und der Furcht vor dem Ruin.« (S. 316)
Hinter dem Citoyen lauert immer der Bourgeois, und auch dieser
hat - wie die Totalität gesellschaftlicher Repression - seine
privateigentümliche Identität vermittels der Aktienkapitale anonymisiert. Das
bürgerliche Individuum, das kraft der Herrschaft über Privateigentum an
Produktionsmitteln emanzipative Seiten von Identität über Naturbeherrschung,
und den Kampf gegen den Feudalismus hervorgebracht hatte, die citoyenhafte
Seite des Kopfarbeiters, war zumindest seit dem Faschismus, der aus den inneren
Gesetzmäßigkeiten der anarchischen bürgerlichen <9> Produktionsweise sich
ergeben hatte, durch die Gewaltmittel der eigenen Klasse liquidiert worden. Nur
schlechte Poesie konnte nach Auschwitz noch geschrieben werden; aber nicht weil
die Animalisierung der bürgerlichen Gesellschaft nun endgültig die schönen
Seelen vertrieben hätte. Adornos Wort von der Unmöglichkeit lyrischer
Sensibilität nach Auschwitz steht selber noch in der Immanenz bürgerlichen
Denkens. Kunst war Erkenntnismedium der zu sich kommenden Bourgeoisie, deren
Produktionszusammenhang notwendiger klassenmäßiger Ausbeutung ihr äußerlich
bleiben musste; im Zuge der bürgerlichen und damit der sich entwickelnden
proletarischen Revolution eignete sich die ausgebeutete Klasse die
organisatorischen und theoretischen Mittel an, um Einsicht in die Totalität
der umzuwälzenden Gesellschaft zu gewinnen und diese angreifen zu können: die
revolutionären Parteien und die Kritik der politischen Ökonomie, wie sie
Marxens Werk entfaltet. Damit waren sich praktisch begreifende
Erkenntnismöglichkeiten erworben, die nicht mehr den Vorschein künftiger
Freiheit besingen ließen, sondern sinnlich und theoretisch eingreifend die
negative Totalität des kapitalistischen Lebenszusammenhanges bekämpften. Der
Ideenhimmel bürgerlicher Freiheit war damit materialistisch auf die Erde zurückgeholt,
er konnte nur über die Negation seiner eigenen Bedingungen realisiert werden.
Was Erkenntnistheorie und Kunst ehemals für die progressive Bourgeoisie, als
Theorie von Freiheit, dies musste Revolutionstheorie werden, umwälzende Kritik.
Nicht Auschwitz machte Poesie unmöglich, sie war bereits nicht mehr angemessene
Weise von Kritik, seitdem der Kapitalismus sich weltumspannend organisiert
hatte und der Schein von Zufälligkeit, den die kapitalistische
Exploitationsgeschichte je nach Entfaltung ihrer Produktionsmittel der
Unterdrückung gab - von den sklavenhaltenden Puritanern über den Imperialismus
und den Faschismus -, verschwunden war; dieser Schein erwies sich vielmehr
nach der Marxschen kapitalistischen Logik der gesellschaftlichen Totalität als
deren notwendiges Implikat. Weit vor dem Faschismus war emanzipative
bürgerliche Identität, einst gewonnen an den jahrhundertelangen
Auseinandersetzungen mit der Feudalität und dem Hervorbringen der modernen
Wissenschaften, zu ihrem eigenen Lichtbild geworden. Der Faschismus lieferte
hiervon als eine Organisationsform des Privateigentums an Produktionsmitteln
die leibliche Bestätigung; er gab gleichsam die
<10> sinnlichen Erkenntnisbedingungen vor, um ihn als mit der
bürgerlichen Gesellschaft notwendig verwoben zu begreifen und die bürgerliche
Geschichte als die ihrer eigenen Destruktion auf einem Hintergrund einzusehen,
der sich den Verlust jener bürgerlichen Identität - nach deren Maßgabe die
universitäre Ausbildung noch strukturiert ist - vor Augen hält.
»Dieser Verfall des bürgerlichen Individuums ist eine der
wesentlichen Begründungen, aus der die Studentenbewegung den antiautoritären
Protest entwickelte. In Wirklichkeit bedeutete ihr antiautoritärer Anfang ein
Trauern um der Tod des bürgerlichen Individuums, um den endgültigen Verlust der
Ideologie liberaler Offentlichkeit und herrschaftsfreier Kommunikation die
entstanden sind aus einem Solidantätsbedürfnis, das die bürgerliche Klasse in
ihren heroischen Perioden etwa in der französischen Revolution/ der« Menschheit
versprochen hatte, das sie aber nicht einzulösen vermochte, und das jetzt
endgültig zerfallen ist.« (S. 25)
Die wilden Streiks vom September 69 hatten jedoch jenes Subjekt
wieder ins Blickfeld gerückt, von dessen tätiger Kritik die revolutionäre
Theorie ausgegangen war. Angesichts der Ideologie des abstrakten Protests
hatte der SDS stets versucht, korrigierend auf die bürgerlich-immanenten
Vorstellungen einzugehen, die hinter den Forderungen einer Bürgerrechtsbewegung
die zu konstituierenden Bedingungen proletarischer Subjektivität - und diese
kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein - aus den Augen verloren. »(...)
die Studenten erblickten In der Arbeiterklasse den noch unklaren Inbegriff der
qualitativen Massen, die sie aus ihrer politischen Einsamkeit erlösen sollten.
Was Marx von der Willich-Schapper-Fraktion sagte, gilt gegenwärtig mutatis
mutandis: 'Wie von den Demokraten das Wort Volk zu einem
heiligen Wesen gemacht wird, so von Euch das Wort Proletariat'
» (S. 205).
Damit ähnelte der Protest dem humanitären Pathos eines neuen
Vormärz. Ihm gehörte jener Bewusstseinsstand zu, wie Krahl selbstkritisch
vermerkt, »dass allein Randgruppen, intellektuelle, privilegierte Randgruppen
in Stellvertretung für die Arbeiterklasse handeln und gewissermaßen eine Art
Menschheitsrevolution, ohne Unterschied der Klasse, initiieren könnten. Das
alles hat sich sicherlich als Ideologie herausgestellt.« (S. 25) Während der
Protestbewegung blieben die Formen der Kooperation mit Arbeitern zufällig -
bis auf wenige Gruppen, die <11> Arbeiter in ihren Reihen hatten; der SDS
war als Hochschulgruppe definiert, spontane Verbindungen mit Arbeitern in
Betrieben, auf Teach-ins oder während Demonstrationen waren kurzlebig. Die
Protestbewegung verebbte, als Autoritäts- und Ausbildungsdebatten geführt und
Reformen versprochen waren; die zukünftigen Kopf- und die streikenden
Handarbeiter konnten sich noch nicht vereinen. Dadurch war allerdings für den
SDS eine entscheidende Etappe gesetzt: »Die antiautoritäre Revolte war ein
marxistischer Lernprozess, in dem wir uns allmählich von den Ideologien des
Bürgertums gelöst (...) hatten, und in dem wir uns endgültig klargeworden
sind, dass (...) es jetzt darauf ankommt, im Kampf (...) gegen die organisierte
Macht des Kapitals (...) Bedingungen zu erarbeiten, damit wir in
organisatorischen Kontakt mit der Arbeiterklasse treten können (...).«(S. 25f)
Im Vollzug der Protestbewegung musste sich der SDS als Hochschulgruppe
auflösen; hiermit war das Ende der Hochschulrevolt organisatorisch markiert.
Der materialistischen Logik der Revolt gemäß versammelten sich die Genossen in
arbeitenden außeruniversitären Gruppen.
Der politische Lernprozess der Revolt implizierte zugleich
Konstruktion von Kollektivität und unabdingbar hiermit Rekonstruktion von
genossenschaftlicher Individualität. Die kollektive Organisation ist der Ort,
an dem Solidarität, herrschaftsfreie Kommunikation sich entfalten können muss. Gewiss
waren die Kommunikationsformen der Revolt noch von allen Malästen des Systems
gezeichnet, an dem sie sich negativ orientierten - »denn sicherlich sind wir
selbst noch mit den Malen kapitalistischer Herrschaft geschlagen, gegen die wir
kämpfen« (S. 27) -, aber unauslasslich war die Einsicht, »dass, wenn man gegen
diese Gesellschaft kämpft, notwendig ist, die ersten Keimformen der künftigen
Gesellschaft schon in der Organisation des politischen Kampfes selbst zu
entfalten, die ersten Keimformen anderer menschlicher Beziehungen,
herrschaftsfreien menschlichen Verkehrs, selbst um den Preis einer hohen
Disziplinierung und Unterdrückung, die wir uns selbst auferlegen müssen.« (S.
26f) Um Freiheit zu erkämpfen, bedarf es Mittel, die dem Ziel nicht äußerlich
sind; das Ziel muss in den Aktionsformen und Organisationsformen präsent sein,
und im »Kampf« wiederum »findet sich diese Masse zusammen, konstituiert sich
als Klasse für sich selbst.«
<12> Mit dem Aufkommen der Bourgeoisie entfalten sich
die Kategorien von Freiheit und Gleichheit. Sie sind Produkte der Zirkulation
von Tauschwerten. Die ökonomischen Formbestimmungen stecken die jeweils
historische Bestimmtheit ab, worin die Individuen verkehren. Die bürgerliche
Individualität war an den Solipsismus der Ware gekettet, an die je spezifische
Eigenschaft innerhalb der Austauschbarkeit der Waren Die Ware ist die
Zellenform des bürgerlichen Privateigentums. Bürgerliche Subjektivität
vermittelt sich über das Privateigentum, das als Tauschwert die sozialen
Beziehungen der Bürger untereinander regelt. Das warenhafte Privateigentum ist
untrennbar verknüpft mit bürgerlicher Individualität: die Bürger sind nur Subjekte
der Zirkulation - der Ebene des bürgerlichen Verkehrs als Privateigentümer von
Tauschwerten. Der Bürger tritt somit als Ware auf. Da die sozialen Beziehungen
bestimmt sind über den Tauschwert, über die Zirkulation, so sind die
proletarischen Spuren erloschen, welche die über Ausbeutung gehende
Reproduktion des Bürgers ausmachen: Arbeit in der Form von Lohnarbeit, Nicht-Eigentum
an Produktionsmitteln sowie das individuelle Recht sich als Ware Arbeitskraft
mehrwertproduzierend ausbeuten zu lassen. Dies waren die proletarischen
Konstituentien des bürgerlichen Begriffs der Individualität, neben der an
Waren, Privateigentum und Tauschgleichheit gebundenen, der Feudalität
abgewonnenen Seite. Die inhärenten Formen der Ausbeutung und Unterdrückung,
über welche die bürgerliche Identität sich nur denken lässt, sowie der
Solipsismus der Ware, die dem Homo (homini lupus) der bürgerlichen
Gesellschaft unterliegt - denn die Warenbesitzer müssen sich konkurrierend
gegenüberstehen - diese Formen bestimmen die Negativität der bürgerlichen
warenhaften Individualität. Die Bürger treten sich als »freie« Individuen
gegenüber, aber nur als subjektivierte Tauschwerte (Marx); sie haben ferner
kein unmittelbares Verhältnis zu den gesellschaftlichen Produkten. Von dieser
Seite ist die bürgerliche Form der Individualität nur negativer Vorschein
dessen, was die solidarisch revolutionäre Vereinigung der Individuen
herausbilden muss, um »sich und die Dinge zu verändern« (Marx, 18. Brumaire).
Erst im immer neu einzuleitenden Versuch herrschaftsfreier Organisation zur
politischen Umwälzung vollzieht sich die beginnende Position: Das Abstreifen
der Warenhaut. Die Ware ist »Bürger dieser dieser Welt« ,
wie der Bürger zur Ware wird. Diese negative Identität über den Warensolipsismus
kennzeichnet einen emanzipativen Begriff von Individualität nur in dem Sinne,
dass bürgerlich sich Individualität <13> denken, wenngleich auf dem Boden
bürgerlicher Verhältnisse nicht herstellen lässt. »Wir machen solange
individuelle und vereinzelte Bildungsprozesse mit allen Entstellungen und
Narben durch, solange wir entweder Mitglieder der herrschenden Klasse oder der
unorganisierten in sich zerrissenen Arbeiterklasse sind, in der jeder einzelne
gezwungen ist, seine Haut zu Markt zu tragen; wir »machen solange entstellte
und verzerrte Bildungsprozesse durch, solange wir vereinzelt sind und nicht
organisiert (...). In dem Augenblick
aber wird unser Bildungsprozess ein kollektiver, nicht im Sinne der
Vernichtung von Individualität, sondern überhaupt erst in der Herstellung von
Individualität so wie er metaphysisch in Hegels ‚Phänomenologie des Geistes’,
materialistisch in Marxens ‚Kapital’ und psychoanalytisch in den Theorien
Freuds formuliert ist, indem wir diese Gesellschaft als ein totales Ausbeutungssystem
durchschauen, in dem die produktive Lebenstätigkeit der Menschennatur
verkümmert. Wir machen Bildungsprozesse durch, die überhaupt erst
Individualität wieder herstellen und das, was Individualität ist, in einem
emanzipativen Sinne rekonstruieren, indem wir uns im praktischen Kampf gegen
dieses System zusammenschließen.« (S. 28 f)
Freilich waren die Erkenntnisbedingungen derer, »die es
ihrer Herkunft nach nicht nötig haben, zur Rebellion und zur Revolution
überzugehen, gleichwohl sich fortschrittlichen Sozialrevolutionären Bewegungen
anschließen« (S. 30), nicht der proletarischen Erfahrung des kapitalistischen
Arbeitsprozesses, dem Verwertungsprozess der Ware Arbeitskraft, entnommen. Der
Weg der Studentenrevolt ging über die Einsicht nicht mehr vom Stand der
unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung zu legitimierender Formen von
Knechtschaft, der repressiven Einschränkung schöpferischer Erweiterungen der
menschlichen Bedürfnisse nach Freiheit. »Das ist das Moment sozialer
Unterdrückung, das wir als diejenigen, die privilegiert sind, zu studieren,
auch einsehen konnten (...)« (S. 30) Die sozialistischen Studenten waren keine
kritischen Theoretiker, die angesichts der selbstdestruktiven Bewegungen des
Kapitalismus sich zum reinen bürgerlichen Ideenhimmel zurückwenden, den
Schmerz ontologisieren und die Sehnsucht nach vorwärts romantisch zurückhalten,
weil das nicht werden kann, was bürgerlich nicht sein darf; weil das nicht zu
erreichen sei, wogegen das Ganze sich sperre. »Es ist nicht das bloße Trauern
um den Tod des bürgerlichen Individuums, sondern es ist die intellektuell
vermittelte Erfahrung <14> dessen, was Ausbeutung in dieser Gesellschaf
heißt, nämlich die restlose und radikale Vernichtung der Bedürfnisentwicklung
in der Dimension des menschlichen Bewusstseins.« (S. 30) Studentische Politik
und Erkenntnisprozesse mussten an ihre Schranke stoßen: Individualität und
Freiheit sind weder bürgerlich herzustellen noch utopisch auszusinnen.
Die Konsequenz des derart fortschreitenden Erkenntnisprozesses
kann nur sein die Praxis der konkreten Utopie: in der Herstellung des
revolutionären Kampfes.
III.
Dem revolutionsgeschichtlich aufgezwungenen
Substitutionalismus entsprachen dezisionistische Denkformen, die - wie ehemals
die Heideggerschen, die noch in die junge kritische Theorie eingegangen waren
(bei Marcuse) - sich in der umstandslosen Wiedergabe von Aussprüchen
Horkheimers, aus der »Dämmerung« des Heinrich Regius, spiegeln. Im
Dezisionismus Horkheimers - »Wenn der Sozialismus unwahrscheinlich ist, bedarf
es der um so verzweifelteren Entschlossenheit, ihn wahr zu machen«, - sitzt
ebenso noch die moraltheologische Bourgeoisie, wie ein austromarxistisches
Moment in der ausweglosen studentischen Revolt, die jenen Satz sich zum Motto
macht (cf 207).
Dass die Theorie sich nicht hat materialisieren können,
obwohl für die Bewegung die »ökonomiekritischen Prognosen des Historischen
Materialismus über den naturgesetzlichen Geschichtsverlauf der kapitalistischen
Weltordnung« sich bestätigt haben (S. 207), verleiht der alten Frankfurter »Kritik«
Raum; man glaubt sie immer noch beim Wort nehmen zu können: Dass bürgerliche
Kritik am proletarischen Kampf eine logische Unmöglichkeit sei, das Wort des
jungen Horkheimer, sollte an den Wänden des Instituts für Sozialforschung in
Frankfurt beschwören, dass die kritische Theorie sich noch zu sich bekenne. Sie
war freilich selber nur eine erkenntnismäßig-logische Ableitung gewesen und
hatte sich aus der spätbürgerlichen Kritik nicht befreien wollen.
Der Rekurs auf die bürgerlich-radikalen Jugendsünden der
kritischen Theorie mag die unabdingbare Konsequenz einer ehemals dem
Proletariat zugeneigtem Theorie dieser vorhalten, die, verbleibt sie in
bürgerlicher Immanenz, sich schließlich in der Welt als Vorstellung und dem
Glauben an das »ganz Andere« zurechtfindet; er markiert zugleich die »strategische
Ungewissheit in <15> Bezug auf die
geschichtliche Aktualisierung des revolutionären Klassenkampfes im
Spätkapitalismus« (S. 204), trotz der theoretischen Prämisse der Revolt: »Die
historischen Bedingungen für die wirtschaftliche Zusammenbruchskrise des
Kapitals sind erfüllt.« (S. 207)
Die Kritik der politischen Ökonomie hatte das Kapitalverhältnis
bis zu seiner höchsten Spitze hin analysiert, der - kapitalistischen -
Vergesellschaftung des Privateigentums an Produktionsmitteln durch
Aktiengesellschaften und der Übernahme der Leitung der Produktion - der »produktiven
Maschine« (Marx) -durch den Staat. Indessen hat die Kritik der politischen
Ökonomie jenen Zustand nicht revolutionstheoretisch - bis auf Ansätze bei
Engels - erfasst, der von Neumann, Horkheimer und Marcuse mit der ökonomischen
Potenzierung der Politik, dem Phänomen des autoritären Staates bezeichnet
worden war. In dieser theoretischen Tradition bedenkt auch Krahl: »durchaus
fraglich ist, ob revolutionäre Theorie noch als Kritik der politischen Ökonomie
möglich ist«. Dies hieße, dass der »Typus revolutionärer Theorie (...) für die
durch die geschichtliche Erscheinungsform des autoritären Staats, den
zunehmenden ökonomischen Primat des Politischen nur ungenügend bestimmte
Endphase des Kapitalismus noch aus (-steht).« (S. 213) Eine derart verstandene
Fortentwicklung des historischen Materialismus will mithin der Forderung von
Korsch und Lukács nachkommen, dass die Theorie auf sich stets selber angewandt
werden muss, soll sie Revolutionstheorie bleiben. Zugleich erfordert die
Restitution revolutionärer Theorie die Insistenz auf die von Lukács und Korsch »zu
Tage geförderte subjektive emanzipatorische Dimension der revolutionären
Theorie des Proletariats« (S. 214), welche durch den sozialistischen Aufbau in
einem Lande episodisch geblieben war. Der Begriff des autoritären Staates hatte
nicht nur die faschistische Erscheinungsform desselben im Auge, sondern die
Möglichkeit der kapitalistischen Veränderung des Staates zum Staatskapitalismus.
Die Aufarbeitung von Horkheimers Schriften hatte
zwiespältige Gründe. Horkheimer hatte zwar am Endpunkt - wie er meinte - der
Kritik der politischen Ökonomie angesetzt; er strapaziert aber zugleich die
bürgerlich-intellektuelle Seite der Revolution. Was für Intellektuelle stets
mag gelten können - wenn auch revolutionspraktisch ohne Wirksamkeit -, gilt
noch nicht für die proletarische Klasse; Horkheimers Satz, »Für Revolutionäre
<16> ist die Welt schon immer reif gewesen« (cit. bei Krahl 220), nimmt
die solidarische Vereinigung der Kämpfenden zurück aufs bürgerliche Subjekt.
Für die Revolt, die ebenso von diesem Endpunkt der Theorie meinte ausgehen zu
können, hatte dieser Satz gleichsam anthropologisches Gewicht angesichts der an
sich bleibenden Klasse. Theoriegeschichtlich heißt dies, dass das Horkheimers
Denken zugrunde liegende individuelle bürgerliche Subjekt auf neuer Ebene
nachgeholt wird: In der Diskussion des Verhältnisses von Anarchismus und
Marxismus, die Rudi Dutschke initiiert hatte. Dieses Verhältnis schien sich verändert
zu haben. »Die seinerzeit praktisch richtige und theoretisch wahre Polemik
Marxens gegen den idealistisch abstrahierenden Voluntarismus der Bakunisten
scheint vom kapitalistischen Geschichtsverlauf selbst außer Kraft gesetzt (...)
das an seinen naturgeschichtlichen Endpunkt regulativ fixierte Kapital scheint
das Verhältnis von Marxismus und Anarchismus auf des Historischen Materialismus
selber zu ändern.« (S. 220)
Gewiss war es an der Zeit, das die Diskussion der Geschichte
der Theorie der Revolution belastende Verhältnis von Anarchismus und Marxismus
hinsichtlich versäumter Fragestellungen zu besehen; Marcuse versuchte hier eine
Bresche zu schlagen. Zugleich indizierte der Rekurs auf den theoretischen
Anarchismus der Zeit der Entstehung des historischen Materialismus, dass eine
praktisch-theoretische Dimension Substitut der fehlenden Praxis wurde, der des
mit den Studenten aktionsmäßig vereinten Proletariats. Die Theorie des
Anarchismus substitutionalisierte die von der Kritik der politischen Ökonomie
nicht eingelöste Praxis. Die versuchte Resurrektion des Anarchismus war das
Eingeständnis studentisch-kleinbürgerlicher Isolation; zugleich allerdings die
historisch einzulösende Verpflichtung, der Theorie der Revolution - gerade der
Marxschen - verlorengegangene Dimensionen von Subjektivität gegen die erstarrte
Orthodoxie dem historischen Materialismus als Revolutionstheorie zu vindizieren.
Die Revolt trieb aber durch diese theoriegeschichtlichen Fragen ihre eigene
theoretische bürgerliche Vergangenheit an ihren Endpunkt: die spätbürgerlichen
radikalen Fragen der kritischen Theorie der Frankfurter Schule erwiesen in
konsequentem Erbe sich als erräsonnierte Kulturkritik. Sie beim Wort zu
nehmen, konnte nur heißen, die Resurrektion der Marxschen Theorie als
Revolutionstheorie zu besorgen. Horkheimer hatte zu <17> bedenken gegeben: »Jede
Resignation ist schon der Rückfall in die Vorgeschichte« (cit. 221). Die Revolt
bemühte sich aus der resignativen Theorie der Frankfurter Schule
herauszukommen. Um die Vorgeschichte theoretisch zu bearbeiten und praktisch
umzuwälzen, ist ein befreiter Wille nicht schon vorhanden; er wird sich erst
durch begrifflich-praktische Arbeit kollektiv konstituieren. Die kritische
Theorie hatte mithin ihren Nekrolog eingeholt, als es sie nicht mehr gab.
Eine Ausnahme bildete Marcuse, der »eindeutig für die Revolution
votiert, wobei zweideutig bei ihm ist, ob er überhaupt ein revolutionäres
Subjekt für möglich hält« (S. 231). Bei Habermas, dessen » Chronik eines
Denkverfalls« Krahl glänzend belegt (S. 231, passim), und Adorno setzt sich
schließlich das Ende der Frankfurter Schule praktisch und polizeilich um: »unter
dem Druck der Frankfurter Verhältnisse, die die Revolution in das eigene Haus
getragen haben« (S. 231). Der Gang der Selbsterkenntnis von der kritischen
Theorie zur revolutionären Theorie lässt indessen ohne allen Zweifel, dass die
Bewegung wesentliche Kategorien dem Denken Adornos und Horkheimers verdankt:
die kritische Theorie hat »Emanzipationsbegriffe an die Hand geliefert«; »die
Trauer um den Tod des bürgerlichen Individuums und um den Verlust der
herrschaftsfreien Kommunikationsideologie des gerechten Warentauschs durch die
monopolistische Entpersonalisierung des Marktes, das sind (...) Motivationen,
die nach Abschluss der Restaurationsperiode in der Bundesrepublik den antiautoritären
Protest motiviert haben.« (S. 235)
Anfängliche Kategorien der Kritik hatte die studentische
Protestbewegung aus der Tradition der kritischen Theorie der Frankfurter
Schule gewonnen; diese hatte die »trauernde Erinnerung an die emanzipativen
Gehalte des revolutionären Bürgertums und gerechten Tauschverkehrs« (343) formuliert,
- wie Krahl sie als Bildungsgut der Bewegung bezeichnet; so Horkheimer, zwar
als »revolutionärer Moralist der proletarischen Revolution«, wenngleich immer
als »kritischer Theoretiker einer vergangenen bürgerlichen Sittlichkeit« (S.
241). Adorno vermittelte herrschaftsentschleiernde Kategorien gleichsam aus der
resignativ-bürgerlichen Sicht der sistierten und mithin unmöglichen Revolution.
Die kritische Theorie ontologisierte den - russisch - nachrevolutionären
Zustand vor der ausstehenden Revolution. Indessen reflektierte gerade Adorno
Phänomene einer Kulturindustrie als Herrschaftsinstanz, die der
monopolkapitalistischen Manipulationsebene - <18> »wo noch handfest
gehungert wird, kann das Instrumentarium der Manipulation noch ungeschliffen
und brutal sein. Zur Betäubung der Massen reichen die traditionellen, ohnehin
schon vom Leistungszwang der Mehrarbeit bestimmten Formen der Religion aus,
der Schnaps tut sein übriges » (S. 345) - entsprachen. Freilich ist die »Verkümmerung
der materialistischen Geschichtsauffassung« (S. 287) in der kritischen Theorie
unübersehbar; Krahls Würdigung Adornos nach dessen Tode, er »überlieferte das
Emanzipationsbewusstsein des westlichen Marxismus der zwanziger und dreißiger
Jahre« (S. 287), akzentuiert eher den Beginn der Bewegung vermöge der
kritischen Kategorien Adornos als dessen Tradierung der marxistischen
Diskussion. Konstitutiv für die Intellektuelle Biographie Krahls bleibt
allerdings die »Ebene eines philosophiekritisch reflektierten Marxismus« (S.
207), welcher der Frankfurter Schule ebenso sich verpflichtet weiß, wie die »politische
Sensibilität« (S. 303), welche die Revolt als emanzipative Bewegung
auszeichnete. Jenem resignativ-spätbürgerlichen Zug, sowie der Unmöglichkeit,
kulturkritische Einsichten klassenkämpferisch umzusetzen, galt die Kritik der
Kritik.
IV.
Nicht zufällig ist, dass die Revolt marxistische Probleme
diskutierte, die eine ähnliche Anstrengung darstellten, gegen die
Verkümmerungen des Marxismus zu Felde zu ziehen, wie seinerzeit die Versuche
von Lukács und Korsch. Resurrektionsversuche des westlichen Marxismus
implizieren eine Kritik von zwei Seiten, einmal am Revisionismus, zum andern
an der Orthodoxie. »Die historischen Bedingungen für Orthodoxie und
Revisionismus, dogmatische Erstarrung und systemintegrativen Widerruf der
vormals kritischen Theorie Marxens zur positiven Weltanschauung finden sich
auch in den scheinbar praxisentferntesten und 'abstrakten' Verästelungen
philosophischer Kontroversen wieder.« (S. 143) Namentlich Karl Korsch hatte
darauf insistiert, dass die Philosophie ein Bestandteil der revolutionären
Theorie sei, solange ihre kritischen und emanzipatorischen Implikate noch
nicht revolutionär abgegolten sind. Für Marx war es klar, dass bürgerliches
Denken sich Einsicht in seine Konstitutionsbedingungen nicht verschaffen kann;
es scheitert an der Transzendentalität der bürgerlichen Gesellschaft, deren
blinder Objektivismus dem <19> bürgerlichen Denken aufgelastet ist und
mithin Kritik über negatorische Kategorien nicht gewährt. Orthodoxie und
Revisionismus bleiben dem bürgerlichen Denken noch insoweit verhaftet, als die
Philosophie nur als bürgerliches Spintisieren begriffen wird; zurecht
verschärft Krahls Fragestellung Korschs Insistenz auf der Notwendigkeit philosophischer
Reflexion, solange deren Geltungsbedingungen noch bestehen - also die
Bourgeoisie noch die Macht in den Händen hat -, denn Philosophie hat bei Korsch
immer noch den Status korrektiven Denkens; es bemisst
materialistisch-erkenntnistheoretische Fragen gleichsam moralisch und nimmt sie
somit in den Marxismus auf, statt diesen revolutionstheoretisch als selbstbewussten
Erben von Erkenntnistheorie und Erkenntniskritik in praxi zu sehen. Korschs
Diskussion ist selbst noch immanent, was Krahl im Anschluss an ihn der bürgerlichen
Philosophie ankreidet: Ihr notwendiger Klassenstandpunkt verhindert die
Einsicht in ihre eigene Objektivität; der »historische Zusammenhang von
Erkenntnis und Gesellschaft, ideengeschichtlichem Philosophieprozess und
Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft« ist nicht einsichtig: »Dies ist vor
allem der Grund für die Fehlinterpretation des deutschen Idealismus (Kant bis
Hegel) als rein ideengeschichtlichen Prozess, den doch Hegel selbst und seine
philosophischen Zeitgenossen als vernünftigen Ausdruck ihrer geschichtlichen
Epoche der revolutionären Bewegung begriffen haben.« (S. 144)
Krahls »philosophiekritisch reflektierter Marxismus« konnte
sich vorab an der Erkenntniskritik Horkheimers und Adornos orientieren, deren »Ideologienkritik
am transzendentalen Subjekt (...) dies als den abstrakten Gesamtarbeiter
(entschleierte), die metaphysische Travestie des kapitalistischen
Produktionssubjekts« (S. 399). Ökonomiekritische Ableitungen philosophischer
Theoreme spielen sonst den Interpretationen - vorwiegend Adornos - beiher; in
der »Dialektik der Aufklärung« begreifen die Autoren selbst die monopolistische
Gesellschaft unter dem Aspekt des Tausches. Krahl hat nun im Anschluss an
Lenin, Lukács und Korsch Sentenzen einer geschichtsmaterialistischen Lektüre
des Idealismus formuliert, diese nicht als bildungsbürgerliches Erbteil,
sondern als unabdingbaren Bestand jener höchsten Begriffe der Bourgeoisie,
anhand deren Marx die Kritik der politischen Ökonomie - die ihre Methode der Hegelschen
Dialektik verdankt - entwickeln konnte. »Das Studium der Hegelschen Logik ist
genau genommen <20> logische, nicht chronologische Voraussetzung der
Marxschen Kritik der politischen Ökonomie.« (S. 373)
Marx band seine »Kritik« an die bürgerlich vorgegebenen Kategorien
der politischen Ökonomie. Er verstand deren begriffliches Handwerkszeug nicht
als - positivistisch - auswechselbare Nomenklaturen, sondern 'als daseiende
Kategorien«, »Existenzbestimmungen«. Er schreibt ihnen einen Realitätsgehalt zu,
der die ökonomisch verfasste Welt des Warenmarktes begrifflich darstellte.
Marx knüpfte an den Kategorien der politischen Ökonomie an, da die bürgerliche
Gesellschaft als daseiender Materialismus verdinglichter
Produktionsverhältnisse - Menschen und Dinge waren zu Waren geworden - vorab
von der sie konstituierenden Produktionsweise und deren Theorie in den Köpfen
ihrer Apologeten anzupacken war. Dies hieß nicht, dass den sonstigen Begriffen
und dem sonstigen Selbstverständnis der Bourgeoisie auf der Ebene ihres
höchsten Begriffs ein bornierterer Status zukäme; gerade das Hegelsche System fasst
wie kein anderes die Totalität der Bourgeoisie als dynamische Entität in sich.
Diesen Totalitätsanspruch verknüpft Marx mit den die Produktionsweise
spezifisch reflektierenden Kategorien, da das gesellschaftliche Sein - als
vorrangig von seiner ökonomischen Reproduktion bestimmtes - das Bewusstsein
bestimmt, jenem mithin der Primat zukommt; dieser macht den historischen
Materialismus wesentlich zur Theorie der bürgerlichen Gesellschaft: die gesellschaftliche
Produktion, gebunden an Lohnarbeit und Mehrwert, bestimmt das Bewusstsein und
noch nicht umgekehrt. Die Kritik der politischen Ökonomie korrespondiert mithin
dem daseienden Ökonomismus der kapitalistischen Gesellschaftsformation. Dem
philosophischen Denken kam noch zu, gleichsam metaökonomisch die Welt zu
begreifen und sich ihre Totalität anzueignen. Die bürgerliche Welt bespiegelt
sich philosophisch ebenso in daseienden Begriffen wie die theoretischen Explikationen
der politischen Ökonomen. Freilich konnten bürgerliche Begriffe die Welt nur
in ihrer bourgeoisen Verfassung wiedergeben; sie widerspiegelten also die
Naturwüchsigkeit der anarchischen Produktionsweise dieser Epoche, die ihre
Reproduktion noch nicht selbstbewusst zu regeln verstehen kann, vielmehr selber
durch die von ihr produzierten Waren und Kapitalformen beherrscht wird.
Die Kategorien der klassischen Philosophie belegen dies. »Im
Verhältnis von Transzendentalität und Totalität liegt das <21> Geheimnis
der kapitalistischen Naturwüchsigkeit« (S. 74), denn die »Wahrheit des
absoluten Begriffs ist das Kapital« (S. 79). »Das transzendentale Subjekt
erweist sich in materialistischer Kritik als der in toto anarchische
Produktionsprozess der Gesamtgesellschaft« (S. 57). Während Kant »auf dem
Standpunkt des bürgerlichen Tauschverkehrs und Rechtsverkehrs steht« (S. 401),
so Hegel »auf dem Standpunkt der Logik des Kapitals« (S. 376). Die Hegelsche
Logik repräsentiert - als dialektische - den Gang der Selbstbewegung des
Kapitals, sie spiegelt die Abstraktheit des realen Prozesses wider, die, wie
die sich dialektisch weitertreibenden Kategorien Hegels, als wertsetzender Wert
die konkreten Dimensionen der Alltagspraxis sich subsumiert, zumal jene Klasse
als negatorisches Moment, die durch ihre daseiende Negation in der Lohnarbeit
die mehrwertstrukturierte Geschichte als die von Abstraktionen, Waren,
Tauschwerten, Lohn und arbeitszeitzerspleißter Lebenserfahrung produziert. Das
Kapital ist »die daseiende Phänomenologie des Geistes, es ist die reale
Metaphysik« (S. 375), welche die Philosophie als reine Wesenheiten beschrieb.
Bei Kant ging die Ebene des bürgerlichen Tauschs zwingend in
die formale Logik ein, die nach Hegels Kritik inhaltslos bliebe. Krahl bemerkt
zu Kantens Satz, »denn die Logik abstrahiert von allem Inhalte«: »Eben solch
eine logische Prädikation vollzieht sich als gesellschaftliche Abstraktion im
deshalb bloß scheinbaren Verselbstständigungsprozess des Kapitals. Auskunft
darüber gibt das Verhältnis von formaler Logik und Tauschverkehr. (...) Als
tertium comparationis des Tauschverkehrs fungiert der gesellschaftliche Wert,
der als umfangslogischer Begriff, (...) die Klasse aller möglichen
Naturalformen, insofern sie nichts als Produkte gleichartiger menschlicher
Arbeit sind, unter sich befasst. Der Tauschverkehr vollzieht eine quantitative
Identifikation der qualitativ nicht identischen Gebrauchswerte.« (S. 70) Das
Hegelsche Denken gibt eine fortgeschrittenere Stufe der bürgerlichen Gesellschaft
wieder; Krahl interpretiert ihn als »metaphysischen Denker des Kapitals.« Seine
»Philosophie ist die idealistische und metaphysisch verkleidete Form der
Produktion« (S. 376).
In den Pariser Manuskripten hatte Marx die ersten Hinweise
einer ökonomiekritischen Interpretation der Hegelschen Philosophie gegeben; die
Zentralkategorie der »Phänomenologie des Geistes«, die Arbeit als dialektisches
Prinzip, reflektiert Marx im <22> Kontext von Smith und Ricardo. Von den
Begründern des wissenschaftlichen Sozialismus konnte jedoch eine
geschichtsmaterialistische Analyse der philosophischen Begriffe nur am Rande
verfolgt werden - im Sinne der notwendigen Kritik an der Bourgeoisie musste die
Kritik des falschen Bewusstseins voranstehen; deren materialistisches Recht kam
dabei zu kurz. Wie Krahl andeutet, lässt sich Hegel als Philosoph jener Etappe
der Entfaltung des Kapitalismus geschichtsmaterialistisch rezipieren, in
welcher der Konkurrenzkapitalismus abgelöst wird vom gesellschaftlich
vorherrschend werdenden relativen Mehrwert, der Epoche der großen Industrie.
Geht man systematisch vor, so repräsentiert Schellings »Prinzip der Produktion«
- wenngleich naturalistischer - dieses entwickelte Prinzip der kapitalistischen
Geschichte. Hegel vereinigt bereits Tausch und Produktion als Onto-Logik der
bourgeoisen Verhältnisse, Kategorie und Negativität, Wert und Arbeit. Eine
materialistische Aufarbeitung der theoretischen Prämissen Marxens steht
freilich noch aus, sieht man von den seitherigen Versuchen, im Stile Mehrings,
Plechanows etc. ab, die eher im Sinne der Aufklärung ans Werk gingen, jedoch
nicht sich zu den gesellschaftlich konstituierten Kategorien der Philosophie
verhalten konnten wie Marx zu Hegel. Krahl hat trotz der agitatorischen Praxis
diese Seite der Aufarbeitung der materialistischen Theorie nicht
vernachlässigt, die - nach der politischen Rezeption der Hegelschen Schriften
durch Lenin, nach Lukács und Korsch - nur noch Marcuse und Bloch
repräsentieren. Diese stehen indessen einer ideologiekritischen Beschäftigung
mit dem Stoff näher als einer ökonomiekritischen. Die Kritik der politischen
Ökonomie beim Wort genommen heißt auch, die Geschichte der Bourgeoisie
insgesamt der Kritik auszusetzen, wie Marx die politische Ökonomie darstellte
und hierdurch kritisierte. Der historische Materialismus ist die Theorie der
bürgerlichen Gesellschaft und nicht nur - wenngleich diese Primat einnehmen muss
- ihrer ökonomischen Theorien, zumal diese mittlerweile zu technizistischen
Sozialdaten herabsanken, ohne den ehemaligen Anspruch, in sich aufzunehmen,
begreifen zu wollen, was die Welt als sich anarchisch reproduzierende in sich
zusammenhält.
Krahl argumentiert zumeist in einer Wende der Marxschen
Hegel-Kritik; er trägt Hegelsche Kategorien an Marx heran: »Die materialistische
Darstellung der Warenform des Produkts erweist das Verhältnis des Wertes zu
seinem Tauschwert als das von Wesen <23> und Erscheinung.« (S. 44) Der
geschichtsmaterialistische Ausgangspunkt setzt umgekehrt an; die
materialistische Darstellung über Wert und Wertform erklärt das Hegelsche
Verhältnis von Wesen und Erscheinung. Krahl lässt die große Philosophie
eingehen in die revolutionäre Theorie und verfolgt damit indirekt die
Intention, die Marx bis zur selbstbewussten Theorie als »Kritik« vollzog, von
der Erkenntnistheorie (Kant) über die Erkenntniskritik (Hegel) zur
Revolutionstheorie, zur Theorie umwälzender Praxis; - er geht gleichwohl noch
ideologiekritisch-komparativ vor, begreift Marx in der Nachfolge von Kant und
Hegel statt diese als Vorfahren von Marx - »Damit steht das Fetischismus- und
Verdinglichungsproblem in der Nachfolge der kantischen Vernunftkritik (...)«
(S. 49) -, d.h. die daseienden Begriffe der höchsten bürgerlichen Philosophie
werden nicht immer aus der Anatomie der weitest entwickelten Reflexion der
bürgerlichen Gesellschaftsformation, also der politischen Ökonomie als Theorie
mit dem Anspruch erkenntnismäßiger Totalität der sozialen
Reproduktionsprozesse, abgeleitet. Der Satz: »In der Lehre von den
Naturgesetzen der kapitalistischen Entwicklung erhellt sich (...) die
konstitutive Rolle der großen Philosophie für die revolutionäre Theorie« (S.
87), verschiebt den Akzent; vermöge der konstitutiven Rolle von Ware und
Kapital für die Philosophie und deren Selbsterkenntnis in der revolutionären
Theorie lässt sich erst der Übergang von der Philosophie zur Ökonomie, das
heißt zur Kritik derselben als Revolutionstheorie begreifen. Dass Marxens
Theorie zu erhellen ist im Rekurs auf Hegel, war allen Marxisten klar; nur
wurde die Analyse noch nicht darauf gerichtet, warum dies so ist. Die
materialistische Erkenntniskritik hat Erkenntnistheorie- und -kritik noch nicht
geschichtsmaterialistisch abgeleitet.
Im Kontext der begriffslogischen Interpretation der
kritischen Theorie versteht Krahl die Kategorie der Dialektik: er begreift sie
als »Reflexionsstruktur ihres Gegenstandes« (S. 141) und nicht auch als reale,
als daseiende, wie sie bei Hegel ontisch vorliegt, wenn auch bürgerlich , also
übergleichzeitig. Hinter diesem Dasein der Dialektik liegt jener reale Grund,
dass das Kapital als progredierendes Subjekt von einer realen Bewegung
konstituiert wird, welche als die daseiende Dialektik von Lohnarbeit und
Kapital die Gesellschaft klassenmäßig zweiteilt. Die Dialektik ist folglich
Reflexionsstruktur des Gegenstandes - also wie auch Krahl betont: »keine bloße
Methode« (S.141) - aber diesem selbst struktiv <24> eingeschrieben. Gewiss
hat Krahl somit Recht, wenn er im Anschluss an die Kategorie des Werts
bemängelt, Marx habe auf Grund seiner Idealismuskritik Begriffe wie Wert
ungenügend abgeleitet (cf. 372); denn der Idealismus selbst ist gleichsam eine
bürgerliche Existenzbestimmung auf dem Stande der bürgerlichen Ökonomie, wie
Marx Hegel bescheinigt. Folgende Einsicht von Krahl müsste also ökonomiekritisch
weitergetrieben werden :«Marx müsste nachweisen, wie diese Abstraktionen reale
Organisationsmodi der kapitalistischen Gesellschaftsformation sind.
Abstraktionen sind aber nach der herkömmlichen Überlieferung Begriffe. Wenn ich
die Begriffe einseitig dem Überbau zuschlage, ist dies aber nicht nachzuweisen.«
(S. 372). Bei weiterführender Kritik geht es nicht darum, Marx durch Hegel
philosophisch zu logifizieren, sondern die objektiv-bourgeoise Wahrheit Hegels
mit Marx darzulegen und hierdurch die Notwendigkeit des Übergangs von der
Erkenntniskritik zur Revolutionstheorie, zur Theorie also, die das Selbstbewusstsein
des Proletariats, der Ware Arbeitskraft als Klasse, unter dem Aspekt ihrer
eigenen notwendigen Negation darstellt. Die »immanente Zerrissenheit des Selbstbewusstseins«
bei Hegel muss mithin aus der »antagonistisch konfligierenden Objektivität« (S.
50) erklärt werden; so wie Krahl programmatisch einfügt: »Wenn Kant anmerkt, es
könne zum 'logischen Prädikate (...) alles dienen, was man will, sogar das
Subjekt kann von sich selbst prädiziert werden; denn die Logik abstrahiert von
allem Inhalte', so vollzieht sich diese formal logische Abstraktion
gesellschaftlich real in der Differenz des Wertes gegen die qualitative
Bestimmung der Gebrauchswerte.« (S. 53)
Kämpferische Parteilichkeit, d.h. der Standpunkt des
Proletariats, weist den historischen Materialismus als praktische Theorie der
Revolution aus; als Theorie weltverändernder Praxis, damit umwälzender
Weltveränderung. In der Tat ist der historische Materialismus »die erste selbstbewusste
Doktrin in der Geschichte des menschlichen Denkens« (S. 214), eine Theorie
also, deren eingreifende Praxis das zu sich gekommene Selbstbewusstsein bislang
verborgener geschichtemachender Arbeit darstellt. Die Revolution ist die
theoretische Praxis der selbstbewusst die Geschichte einsehenden und
anpackenden verproletarisierten Menschen; sie löst ein, was Engels dem
historischen Materialismus zuschrieb, Erbe des deutschen Idealismus zu sein:
Die <25> Einsicht in die Notwendigkeit der proletarischen Revolution zur
Abschaffung von Klassenverhältnissen und des verkümmerten Verkehrs der Menschen
untereinander löst als eingreifendes Selbstbewusstsein gesamtgesellschaftlicher
Totalität die idealistisch-selbstbewusste Welt (Hegel) der Bourgeoisie ab. Die
marxistische »Waffe der Kritik« - nicht nur kritische Reflexionsebene -
erheischt somit die proletarische »Kritik der Waffen«. Als noch nicht
revolutionär sich umsetzende »ist Kritik das theoretische Leben der Revolution«
(S. 286) .
V.
Konnte
Marx noch angesichts sich entfaltender Emanzipationskämpfe des Proletariats die
Logik des Kapitalismus in dessen ökonomischen Bewegungsgesetzen darstellen -
ohne die emanzipatorischen Kämpfe mit diesen immer zu vermitteln -, so unterlag
diesem zu denunzierenden Objektivismus die stillschweigende Voraussetzung, dass
die Blindheit der lohnarbeitenden Individuen, welche diese an Warenproduktion
gekettete Wirklichkeit hervorbringen, sich über klassenkämpferische Vorgefechte
um adäquaten Lohn und die Einsicht in dessen Unmöglichkeit verflüchtige; dass
sie zum Einblick in den Gesamtprozess von kapitalistischer Produktion gelangen
und sich als Subjekt des Prozesses begreifen. Diese sich vor den Augen
abspielende Bedingung des Marxschen Werkes, die für sich werdende Klasse,
hinterließ freilich in der Darstellung der Anatomie der bürgerlichen
Gesellschaft die bedenkenswerten Spuren, dass Marx es nicht für nötig
erachtete, die Konstitutionsbedingungen von revolutionärem Bewusstsein, den
Willen der Menschen, die sich entmenschlichenden Verhältnisse revolutionär
umzuwälzen, neben der Darstellung des kapitalistischen Systems noch gesondert
hervorzuheben.
Von der
Zeit der Entfaltung der marxistischen Revolutionstheorie über Lenin bis zum
Angriff auf den Kapitalismus von seinen Randbezirken hatte sich dessen
Erscheinungsweise so geändert, dass der Klassenkampf sich in veränderter Form
vorzubereiten hatte. Während bei Marx und Engels die Klassenkämpfe die Welt zum
Gedanken hin fortzutreiben schienen, musste Lenin im unterentwickelten,
gleichwohl dem monopolisierenden Kapitalismus ausgesetzten Russland den
Gedanken erst zum Vollzug vermitteln. »Die landläufige Annahme, Lenin habe das
historische <26> Subjekt revolutionärer Veränderung, das Proletariat,
umstandslos zum Objekt herabgesetzt, ist unzureichend.« »Lenins Formel, es
könne das politische Bewusstsein nur von außen in die Arbeiterklasse getragen
werden, bezeichnet die Einsicht, dass es sich nur aus der Erfahrung des Bezuges
von ökonomischen und außerökonomischen Gewaltverhältnissen bildet.« (S.156)
Lenin hatte - und dies ist ein wichtiger Gedankengang Krahls [als Kritik] an
der Kritik, die den »bürgerlichen« Lenin in der Organisationsdebatte gegen die
holländischen Marxisten wie Pannekoek und Gorter ausspielt - einen Begriff von
Agitation entwickeln müssen, der den russischen Verhältnissen angemessen war,
der indessen stets mehr sein musste als bloße Aufklärung über die »Enthüllungen«,
wie sie in »Was tun« als Taktik vorgelegt sind. »Zu seinem Begriff der
Agitation gehört, dass die Massen aus eigener Erfahrung autonom nachvollziehen,
was die Avantgardestrategen ihnen vermitteln: die konkrete Erfahrung abstrakter
Herrschaft.« (S. 155) Agitation heißt also für Lenin, die Selbstbefreiung des
russischen Proletariats zu forcieren; »die blinde Spontaneität der Bewegung
aufzuklären und zur mündigen Autonomie des sich selbst befreienden Proletariats
zu vermitteln« (S. 155). Unter modernen Bedingungen des Kampfes ist die
Leninsche Enthüllungsstrategie und damit ein konstitutiver Begriff der
Avantgarde anachronistisch. Eine »personalisierende Entlarvung abstrakter
Herrschaft« hinkt der Erscheinungsform des Kapitals hinterher. »Hinter den
Charaktermasken sind die maskierten Gesichter verschwunden, hinter den
Funktionären die Personen.« (S. 156) Die Anonymisierung von Herrschaft
erheischt, dass »(wir) heute (...) auf die Konstitution von Bewusstseinsgruppen
zurückverwiesen (sind), die einmal avantgardestrategische Funktion übernehmen
können« (S. 155). Dies freilich soll keinem Intellektualismus das Wort reden;
studentische Erkenntnisträger der Revolution waren nur als vorübergehende
Agitatoren ausersehen, »die Theorie zur materiellen Gewalt zu vermitteln« (S.
155). »Mit der fortgeschrittenen Integration der Massen, zumal der
Arbeiterklasse, durch Potenzierung abstrakter Herrschaft im System
expandierender abstrakter Arbeit hat auch der Abstraktionsgrad der Propaganda
und Agitation zugenommen. Für solche Abstraktionen sind gegenwärtig Studenten
und Schüler aufgeschlossener; da sie eher fähig zu Lern- und Bildungsprozessen,
zu Reflexion und Erfahrung, also zur Kritik sind. Der Agitationsmodus
konkretisiert sich gleichsam naturwüchsig <27> in dem Maße, da
Unterdrückung noch als physischer Zwang erlebt wird (Black Power).« (S. 156)
Allerdings
musste mit diesem Ansatz, der monopolkapitalistischen Bedingungen parieren
wollte, der Status der studentischen Aktionen einen Avantgardecharakter
erhalten, der sich nicht immer mit dem füllte, was Krahl und andere Theoretiker
des SDS mit Agitation meinten: die Vermittlung erkenntnishaft auf Grund
privilegierter Ausbildung erarbeiteter Einsichten »zur mündigen Autonomie des
sich selbst befreienden Proletariats«. Krahls Lenin-Rezeption zeigt indessen,
dass es der Theorie um Aufklärungs- und Agitationsarbeit unter gewandelten
Bedingungen ging; nicht wurde Lenin blind Übernommen, er wurde innerhalb der
Revolutionsgeschichte reflektiert, die heute anderer Kriterien und Kämpfe
bedarf. Der Anonymität der Verhältnisse konterten die Agitatoren, indem sie
sich nicht blindlings zur Avantgarde als Jugendbewegung aufspreizten. So betont
Krahl gegenüber der Position Lenins spontaneitätstheoretische Ansätze bei Marx.
»Die erzieherische Funktion der gesellschaftlichen Verhältnisse im
revolutionären Kampf ist ein entscheidendes Element bei Marx; die objektiven
Verhältnisse in revolutionären Kampfsituationen machen die Unterdrückten erst
zur Selbstbefreiung frei (...) im Gegensatz dazu Lenin. Die Ausbildung des
Klassenbewusstseins durch die Erfahrung von Unterdrückung und Kampf.« (S. 158)
Gelegentlich
Lukács präzisiert Krahl den Klassenbegriff, wie er Lenin zugrunde liegt, als
selber bürgerliche Abstraktionsform. Im Leninschen Organisationstyp der Partei
als »intelligibler Gesamtpersönlichkeit« soll die »transzendentale Identität
von Subjekt und Objekt« gesetzt sein; sie vermittelt sich freilich nur über die
Kommandowarte der politischen Führung. Die »transzendentale kommunistische
volonté générale ist mithin eine idealistische Fiktion. Die Klasse ist nicht
begriffen als ein »realisierter Ausdruck abstrakter Arbeit (des Werts)« d.h. in
ihrer formbestimmten Negativität. Der Lukácssche Klassenbegriff reproduziert
noch den daseienden Idealismus über abstrakte Arbeit und Tauschwert; die Klasse
ist entsinnlicht, die Individuen gehen als konkrete Träger möglichen Klassenbewusstseins
nicht in ihn ein: Klassenbewusstsein ist ihnen zugerechnet. Die Klasse ist
gleichsam noch kapitalistischer Begriffsrealismus nach Maßgabe des die
Gesellschaft umfangslogisch <28> umschließenden Werts als dahinter stehendem
Wesen und Subjekt. In den Leninschen und Lukácsschen Klassenbegriff gehen
bürgerliche Verdinglichungsimplikate ein, welche den nominalistischen
Existenzen der proletarischen Lebensgeschichte, deren Kampf- und Solidaritätsformen,
sich überstülpen. Das soll andererseits nicht unterschieben, als seien die
solidarisch Kämpfenden schon nicht mehr an die Nabelschnur von Tradition und
Herrschaft, an die Negativität der Bourgeoisie, gebunden; dieser Zusammenhang
konstituiert mit die negatorische Macht der für sich werdenden Klasse. Marx
legt indessen den Akzent auf die sich durch Kampferfahrung verändernden
Proletarier - nicht auf die Abstraktion von ihnen - die sich in revolutionärer
Praxis zum Verein freier Menschen in freier Assoziation heranbilden, aufbauend
auf den Gebrauchswerten kapitalbeherrschter notwendiger Reproduktion über
mehrwertschaffende Arbeit, auf Gebrauchswerte proletarischer Sinnlichkeit wie
Kooperation, Solidarität, Leid: historische Gegenerfahrung. Der Klassenbegriff müsste
derartige Implikationen enthalten, wie Krahl sie dem Klassenbewusstsein
zuschreibt: »die tendenzielle Aufhebung der Klasse und die Bildung
selbsttätiger Formationen der Bevölkerung« (S. 164). Bei Lukács verselbständigt
sich die Klasse nochmals zu triebmetaphysischer Potenz: die Sprengung des
Systems ist ihr eingeschrieben. Lukács Begriff der Möglichkeit, den die
Kategorie der Klasse revolutionär objektiviert, ist als reale Möglichkeit je
Notwendigkeit. Diese Notwendigkeit ist aber nur mit der Logizität des
Kapitalverhältnisses verknüpft durch die proletarische umwälzende Praxis.
Aus
jener der Logik der Geschichte als Aktualität der Revolution abgewonnenen
Konzeption von Klasse und Klassenbewusstsein konnte für die Organisationsfrage
- als dem »theorienächsten Element der Praxis« - in den Metropolen ein Moment
verdeutlicht werden: dass die sozialistischen Organisationen gezwungen sind, »immer
mehr zu Mitteln zu greifen, die allererst wieder herstellen, was Marx und
Engels, Lenin und Luxemburg an negativen Gegebenheiten 'immer schon
voraussetzen' konnten. Die Regression des Geschichtsverlaufs in den Ländern des
fortgeschrittenen Kapitalismus ist begleitet von einem Schwund an negativen
Gegebenheiten, die in den rückständigen, kolonialen und halbkolonialen Ländern
nur zunahmen.« (S. 167f) Regressiv ist die gegenwärtige Geschichte, als die
Einsicht in die revolutionären Möglichkeiten, statt evidenter, unklarer
geworden <29> ist. In der Organisationsfrage musste die Revolt davon
ausgehen, dass die Bedingungen der Erkenntnis der Aktualität erst durch
exemplarische Aktionen in den Köpfen der Ausgebeuteten zur Möglichkeit geweckt
werden können. Die spezifische Ungleichzeitigkeit des exportierten Kapitalismus
in der Dritten Welt und der reellen Subsumtion in den Stammländern des
Kapitalismus habe zugleich die Bedingungen der Revolution verschoben, »hat die
Möglichkeit regional begrenzter sozialer Revolutionen in den kolonialen Ländern
erhöht, die einer den Kapitalismus aufhebenden Praxis im imperialistischen Westen
geschmälert.« (S. 168) Die revolutionstheoretische Frage hieß demnach für die
sozialistischen Bewegungen in den Metropolen: »Wie verändert sich die
Klassenstruktur, wenn die verdinglichten Abstraktionen des Überbaus sich
unmittelbar in die Produktion zurückvermitteln?« (S. 165)
Zweifellos
hatte diese Frage hinter Marcuses These von der Eindimensionalität der dem
Kapital reell subsumierten Menschen gestanden; sie führte ihn zu einer
Revolutionsperspektive, welche die Dritte Welt als Randgruppe innerhalb der USA
zum revolutionären Subjekt erkor, den Begriff des Proletariats zum
Gesamtarbeiter machte und damit zu einem anthropologisierten Menschenbild
zurückkam, das den späten Bürger einfing, nicht proletarische Subjektivität.
Freilich lag in der These von der Eindimensionalität des Bewusstseins der
allseitig Ausgebeuteten auch der Stachel, diese Oberflächentotalität zu
hintergehen; allein Marcuse wurde oft als später Bürger reflektiert. Die Revolt
konnte »One-Dimensional Man« bereits als zu ihrer Vorgeschichte gehörig zählen.
Die von Marcuse limitierte Hoffnung auf außerkapitalistische Erkenntnisträger
war durch die Pariser und Berliner Emeuten korrigiert. Die Hoffnung der Revolt
lag nicht nur in der Dritten Welt, sie lag allererst in der Konstitution der vereinigten
Selbsttätigkeit von Arbeitern und Studenten in den Metropolen. Die Tatsache der
»nach Form und Inhalt widersprüchlichen Verfassung ihrer (der Dritten Welt;
H.R.) Revolutionen ( nationale und sozialistische Zielsetzung ungleichmäßig
synthetisiert) (...) scheint die Möglichkeit konkreter Negation des
kapitalistischen Systems durch diesem immanente oppositionelle, subversive und
revolutionäre Kräfte eher behindert zu haben.« (S. 168)
<30>
Wie bei Lukács, so ist bei Krahl das »Organisationsproblem (...) das der
'Materialisierung' der Theorie zum politischen Bewusstsein.« (S. 171) Die Lukacssche
Organisationsdiskussion ist noch geprägt vom Leninschen Modell vor der
Revolution. Die intelligible Gesamtpersönlichkeit der Partei, welche durch
Disziplin sich auszuweisen hat, geht freilich an einem spezifischen
materialistischen Implikat der Marxschen Revolutionstheorie vorbei, darauf
insistiert Krahl wiederum, »dass der Befreiung allererst die Selbstbefreiung
der revolutionären Klasse vorausgehen muss, eine materielle Selbstveränderung,
von daher disziplinärer Zwang« (S. 179), nicht durch die vorgeordnete
Materialität der Partei. Mithin pocht Krahl auf die »Notwendigkeit des
Absterbens der zentralistischen Organisation im revolutionären Kampf - die
Umsetzung von zentralistischer Selbstdisziplin in autonome Einzeldisziplin der
Genossen.« (S. 179) Krahl versucht Lukács Intention, »die Kritik der
politischen Ökonomie (...) auf die Organisationsfrage anzuwenden« (S. 178),
selber am gegebenen Stand des Verhältnisses von Politik und Ökonomie zu
bestimmen. Lukács Denken lässt sich nur verstehen auf der Ebene der Aktualität
der Revolution; ebenso die organisations- und revolutionstheoretischen
Überlegungen Krahls. Für ihn ist eine »neue Tatsache« präsent: »die qualitativ
neue weltgeschichtliche Aktualität der Revolution« (S. 145). Hiervon hing die
Organisationsfrage ab. Gemäß den Überlegungen der Revolt, dass die
außerökonomische Zwangsgewalt zu unmittelbar ökonomischer Potenz werde, d.h.
der Staat sich gegenüber den Klassen verselbständige, folgert Krahl, durch die »Politisierung
der Ökonomie« müsse »die Organisation sich an der Alltagsbasis bilden« (S.
181). Daher galt es revolutionstheoretisch zu untersuchen: »Was heißt Bewusstseinsaufklärung?«
Und, nachdem der Traum von einer Sache sich noch nicht hat verwirklichen
können, nachdem sich - so die ökonomiekritische Fragestellung der Revolt -
Herrschaft der Produktion, der Verwertungsprozess sich scheinbar total dem
Arbeitsprozess aufgelastet hat; nachdem die erkenntnistheoretischen Bedingungen
der Einsicht von möglicher Freiheit über sinnliche Macht und Ausbeutung einer
Anonymität unsinnlicher Zeichen (Aktienkapital) gewichen sind: »Wovon besitzen
die Massen noch einen Traum?« Auf dieser Stufe der materialistischen Theorie muss
- entgegen der Kaderhierarchie und deren Konstituens konkreter Herrschaft - die
allgemeine Bewusstwerdung als Erkenntnis- und Veränderungsprozess in den
Vordergrund rücken: » 'Keiner <31> ohne Funktion!' als revolutionäres
Organisationsprinzip.« (S. 181)
Als der
aktive Streik 1968/69 an der Frankfurter Universität den SDS vor die Aufgabe
stellte, seine übernommene Avantgarderolle ständig mit der Spontaneität der
liberalen Studenten zu vermitteln, seine leitende Funktion dadurch zur
politisch-revolutionären zu machen, dass linke Politik sich nur bestimmen
könne, wenn die Führungsrolle durch ihre Negation, durch Übergehen der
organisierten Theorie und Praxis in das Selbstbewusstsein aller Beteiligten,
sich realisiert, ging es um Fragen einer direkten revolutionären Pädagogik als
Arbeitsstufe des Protests, um organisierte - autonom organisierte - Aneignung
universitärer Ausbildung, Auflösung jener Autoritätsmerkmale, kraft deren der
herkömmliche Lernbetrieb sich seine Fortexistenz verdankte. Gegenüber dieser
universitären Feudalwelt, wie der organisierten Hierarchie der alten Parteien,
grenzte sich die antiautoritäre Bewegung unmissverständlich ab. »Zentralisation
und Disziplin bilden die Konstituentien der politischen Identität einer
revolutionären Bewegung und deren Organisation auf dem historisch spezifischen
Hintergrund einer physisch manifesten und empörenden Unterdrückung, wie sie die
zaristische Autokratie den Massen brutal auferlegte.« (S. 192) Die überkommenen
Institutionen von Herrschaft, wie sie sich in bürgerlich-parlamentarischer Form
vorstellten, kennzeichneten bereits nicht mehr die Zwangsinstanz, die der
ursprünglichen Akkumulation des Kapitalismus in Russland entsprach und der
Lenins Revolutionstheorie korrespondiert; gleichwohl verkörperten die
bürgerlichen Institutionen den über die Ideologie von Freiheit und Gleichheit
hygienisch purgierten Machtapparat einer Klasse, der die mündige Organisierung
der Arbeitenden, durch deren unbewusste Ausbeutung über den Mehrwert das System
sich noch Dauer verschaffte, in jeder Form verhindern musste. Die Opposition
bedurfte außerparlamentarischer Formen. »Wenn es primär um die Herausbildung
einer emanzipatorischen Selbsttätigkeit antiautoritärer Sensibilität geht, dann
ist eine Taktik der Mitarbeit im Parlament und in den Gewerkschaften um des
öffentlichen Lebens der Bewegung willen nicht möglich.« (S. 193) Auch Lenin
irre, »wenn er den taktischen Spielraum nur auf die Mitarbeit in den
reaktionären Gewerkschaften beschränkt und nicht auch diese Mitarbeit selbst in
Frage stellt (...), Lenin übersieht, dass im hoch entwickelten Kapitalismus
(...) das Koalitionsrecht <32> auch auf die Assoziationen der
Arbeiterklasse ausgedehnt wurde (...), um emanzipatorische Bedürfnisse als
solche zu ersticken - mit Hilfe der bürokratisierten Organisationsformen des
Proletariats (...) so wie die Sozialdemokratie (SPD) zum Träger des autoritären
Staates herausgebildet werden musste.« (S. 197f)
Lenins
Parteitypus lag eine organisierte Kampfform zugrunde und mithin die Einsicht, dass
- soll in der kommunistischen Organisation künftige Freiheit antizipiert werden
- »die technische Disziplin in den Fabriken in die praktische Disziplin des
solidarischen Verkehrs der Proletarier umgesetzt werden (müsste)« (S. 196). Das
Leninsche Konzept ist jedoch gegen »bürgerliche« Reduktionen nicht gefeit. »Die
Gefahr der technizistischen Reduktion revolutionärer Praxis droht dem Leninschen
Konzept von zwei Seiten: der organisatorischen Umsetzung technischer
Fabrikdisziplin in die praktische Disziplin des organisierten Klassenkampfes
und der Umsetzung machtkampfstrategischer und kommunikationsstrategischer
Ziele, revolutionärer und emanzipatorischer Prinzipien in ein faktisch
regulatives Realitätsprinzip erfolgskontrollierten politischen Kampfes.« (S.
196) Lenins Parteikonzept korrespondiert der Stufe der gewaltsamen
Kapitalisierung Russlands; Disziplin und Zentralisation sind Kategorien, »die
deduziert sind aus dem Naturzustand des Kapitals einerseits und aus der
technischen Organisation eines Proletariats in wenn auch schon
hochindustrialisiertem Bereich auf dem Hintergrund einer fehlenden Entfaltung
des bürgerlichen Tauschverkehrs« (S. 202 f). Wenn bei Lukács auch das
emanzipatorische Moment der Antizipation des Reichs der Freiheit in die kommunistische
Organisation eingeht, so bleibt doch seiner Diskussion Lenins Übertragung
russischer Verhältnisse auf westeuropäische inhärent, das »Unberechtigte einer
kompromisslosen antibürokratischen Praxis« (S. 203)
In der
Diskussion von Lenins »Staat und Revolution« präzisiert Krahl die Bedenken der
Neuen Linken gegen die tradierten Verkehrsformen der bürgerlich-proletarischen
Revolution in einem vorbürgerlichen Land. Die unverminderte Geltungsdauer des
ontologisierten Parteitypus Leninscher Art »ist umso problematischer, als sein
zentralistischer Apparat nach der Revolution unvermindert fortbestand und ohne
Bedenken auf die geographisch und geschichtlich unterschiedenen
gesellschaftlichen Verhältnisse von der Komintern den revolutionären Bewegungen
in anderen <33> Weltteilen appliziert werden sollte. Seine erwiesene
Wahrheit verkehrte sich in dem Maße, in dem die besondere Geschichte des
autokratischen Russland (...) von seiner organisatorischen Verfassung getrennt
wurde.« (S. 182) Lenins Parteimodell kann, als an der Klassenkampfsituation in
Russland ermessene organisatorische Materialisierung der Theorie, nicht
dogmatisiert werden. Er selbst trug der sich verproletarisierenden und aus den
Händen der Berufsrevolutionäre sich lösenden revolutionären Aktionsform der
räteverfassten Streiks und Kampfformen bei seiner Rückkunft in den Aprilthesen
Rechnung; freilich perpetuierten sich die vorrevolutionären Formen des Kampfes
als parteifixierte auch auf die nachrevolutionäre gesellschaftliche
Organisation und pressten die Selbsttätigkeit der proletarischen Kampferfahrung
in die apparatliche Initiative vorrevolutionärer, clandestin organisierter
Disziplin. Dass das Proletariat sich - wie Marx insistiert hatte - vermöge
seiner Kämpfe zum Ziel der Assoziation der freien Individuen permanent wird
verändern müssen, wie es seine Wirklichkeit umwälzt, verblasste zum Dekret.
Die
Revolt musste ihr Selbstverständnis von der Konstitution neuer Sinnlichkeit als
kämpferische Bedingung für Freiheit in der Alltagspraxis aufspüren. »Die
Abstraktion von der Geschichte, als deren emanzipatorische Vernunft, und der
Gesellschaft, als deren objektiviertes Klassenbewusstsein der Ausgebeuteten er
(sc. der Leninsche Parteitypus, H.R.) historisch entstanden war, eliminierte in
seiner disziplinär zentralisierten Arbeitsteilung den solidarischen Verkehr der
Genossen, durch den sich eine kommunistische Organisation von solchen
bürgerlicher Art unterscheidet, und der allein die durch den Kampf gegen das
bestehende System vervielfachten Bedingungen des Zwanges erträglich macht.« (S.
182)
Krahl
hat die Organisationsdebatte wieder in den - rätedemokratischen - Kontext des
kommunistischen Verkehrs - »herrschaftsfreier Kommunikation« (S. 28) -
gestellt; Vorbild sind nicht die orthodoxen Parteien in den Metropolen, sondern
die neuen Kampfformen in den Extremitäten: »Die Orientierung an der Gegenwart
der Revolution in der Dritten Welt bietet also für uns die Möglichkeit, eine
politische Moral der Kompromisslosigkeit herauszubilden, die ein Ansatz zur
Bildung selbständiger Organisatitionsformen der Bevölkerung sein kann. Sie ist
die Grundlage, um einen der gegenwärtigen Machtstruktur des Staates geschichtlich
<34> angemessenen Organisationstypus herauszubilden, der auf der
Grundlage autonomer Initiativgruppen in den Hochschulen und Betrieben beruht.«
(S. 147) Zugleich versuchte Krahl - nach Lukács -, die Organisationsfrage
mittels der Kritik der politischen Ökonomie zu diskutieren, gemäß dem Stand der
dem Kapital subsumierten Arbeit. »Die Antizipation der befreiten Gesellschaft
in den Organisationsformen des politischen Kampfes ist immer eine historisch
bestimmte Vermittlung von Freiheit und Zwang. Diese Vermittlung erfolgt (...)
aus den geschichtlichen Form- und Realisierungsbestimmungen der
wertsubstantiellen arbeitsteiligen Verkehrsbasis.« (S. 306)
VI.
Als
»strategisch gesicherte Konsequenzen« galten für Krahl - und darauf hätte eine
Theorie aufzubauen, die ansetzend an der vorliegend höchsten begrifflichen
Entfaltung, an der Marxschen Theorie, »diese Gesellschaft«, wie Krahl immer
wieder betont, »unter dem Aspekt ihrer Veränderbarkeit beschreibt« (S. 243) -
»eine neue weltgeschichtliche Konstellation« der internationalen Einheit des
Protests in deren Identifikation mit den Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt.
Hierdurch konnte sich die Protestbewegung »von der längst verbürgerlichten, von
jedem revolutionären Anspruch verlassenen Realpolitik der Sowjetunion«
distanzieren und sich eine von Che Guevara verkörperte revolutionäre Politik
zum Maß setzen. Die Sinnlichkeitsdimension
des revolutionären Kampfes gegen den Primat direkter Herrschaft in der
Dritten Welt gewann damit zugleich Gewicht, führte aber zu Abstraktionsformen.
Der Staat könne Ansätze politischer Selbsttätigkeit nicht dulden, er führe
mithin einen präventiven Machtkampf gegen die Autonomisierung der Interessen
der Bevölkerung. Es erhellt, wie sehr noch - in der Tradition der Frankfurter
Schule - der »Staat« als autoritärer sich zum abgehobenen Phänomen der
bürgerlichen Welt verfestigt. Die Verkörperlichung des Adressaten des Kampfes
im Staat korrespondiert objektiv einer Revoltbewegung, welche die Bedingungen
einer revolutionären Theorie und des Klassenkampfes noch nicht erkämpft hat.
Der »Aktionsform des provokativen Protests«, der die Reprise der kritischen
Theorie sich verdankt, sollte die des aktiven Widerstandes folgen.
Krahl
war freilich alles andere als ein Apologet rigider <35> Strategie- und
Praxisformen. Krahl ging nicht hinter die Überlegung der »unter gegenwärtigen
Bedingungen notwendigen Kontingenz der Praxis« (S. 250) zurück. Dies ist aber
der Theorie und den Aktionsformen nicht liquidatorisch anzulasten; »unsere
Praxis (befindet) sich selbst noch auf einem relativ hohen und armen
Abstraktionsniveau (...) solange sie ihre klassentheoretische Konkretisierung
noch nicht erfahren hat« (S. 250). Bezeichnend für die Diskussionsebene von
Krahl im Zusammenhang mit der Tradition des westlichen Marxismus, andererseits
mit Marcuse und Bloch, ist die Forderung der Deduktionsmöglichkeit dessen, was
konkrete Utopie zu bedeuten hat. Krahl beruft sich dabei richtig auf die
Naturgeschichte der bürgerlichen Ökonomie, wie sie von Marx und Engels
geliefert wurde. Aktienkapitalgesellschaften und das Maschinensystem als
capital fixe bilden den logischen Ausgangspunkt der Marxschen Debatte. Damit
ist die Möglichkeit, in höhere Organisationsmodelle der Geschichte überzugehen,
gegeben und konkrete Utopie möglich. Die zeitgenössische revolutionäre Kritik
wäre mithin an der objektiven Bedingung der Revolution über Aktienkapital und
capital fixe als Maschinensystem, reelle Subsumtion, festzumachen; d.h. an der
objektiven Vergesellschaftung der Produktion in bürgerlichen Fesseln, oder der
Übergangsgesellschaft auf noch kapitalistischem Boden.
Am
Verhältnis von Produktion und Klassenkampf - zwei Begriffe, die Geltung
gewinnen als Prinzipien von Geschichte erst rein im Kapitalismus - entwickelt
Krahl drei Fragestellungen zur »Konstruktion einer Theorie der Revolution unter
hochverschleierten kapitalistischen Herrschaftsverhältnissen« (S. 386): 1. Das Verhältnis von bürgerlicher und
proletarischer Revolution in der Lehre von Marx; 2. Das Verhältnis von gesellschaftlichem Sein
und Bewusstsein, oder die Identifikation von ökonomischen Kategorien mit
praktischen gesellschaftlichen Existenzbestimmungen; 3. Die Dialektik der Arbeit; Arbeit nicht nur
als »kapitalverwertendes Unglück (...) sondern auch als kapitalnegatorische
Produktivkraft der Emanzipation (...). D.h. ist es Marx gelungen, die
Emanzipationskraft der Arbeit in systemkritischer Form in die Kritik der
politischen Ökonomie metakritisch zu integrieren und so ein Vermittlungsglied
zu entfalten zur Konstitution des Klassenkampfes, der revolutionären
Subjektivität des organisierten Proletariats?« (S. 387 f)
Die letzte
Frage zielt ab auf die systematische Entfaltung des <36> Begriffs von
konkreter Utopie. Einerseits sind Fortschritt und Geschichte - namentlich in
der dem Kapital subsumierten Arbeit, im Verwertungsprozess - nur über die
Arbeit der Gattung denkbar; historisch haben die arbeitenden Menschen bislang
zugleich die Mittel ihrer Unterdrückung produziert und nur arbeiten können
innerhalb geschichtlich wechselnder Formen von Herrschaft. Andererseits
produzieren die Menschen im Stoffwechsel mit der Natur und die Menschen
untereinander die Potenzen einer höheren Entfaltung der Menschengattung, sie
entwickeln Sprache, Kooperationsformen und schließlich Kampfformen gegen
Unterdrückung. Bereits in der kapitalbestimmten Arbeit, dem Verwertungsprozess,
dem Vernutzen der Ware Arbeitskraft in der Schöpfung von Mehrwert, steckt die
subversive Seite, dass die kapitalistisch notwendige permanente Forcierung der
Produktivität der Arbeit nur sich reproduzieren und steigern kann, wenn sich
die Intensität der Gebrauchswertseite der Arbeit - der proletarischen also,
nicht die Arbeit als Gebrauchswert für das Kapital -, die Subjektivität der
kooperierenden Individuen verändert, um jenen Prozess zu ermöglichen. Die
Forcierung der kapitalistischen Arbeitsintensität entfaltet mithin kapitalnegatorische
Qualitäten, historische Gegenerfahrung gegen die reibungslose Akkumulation des
Kapitals, als Gebrauchswert des Proletariats, als nicht-identisches Moment der
Ware Arbeitskraft. Zu gleich steckt aber noch eine geschichtsphilosophische Dimension
in jener Emanzipationskraft der Arbeit, die Krahl zu Felde führt und die in der
Geschichte des Proletariats zu seiner Befreiung eine nur unmerkliche Rolle
spielt - in der Tat hatte die Arbeiterbewegung zumeist selber vergessen, dass
die Arbeit existiert, damit sie verschwinde. Im Begriff der Arbeit ist als
konstitutiv-utopisches Moment die Subjekt-Objekt-Dialektik der dritten
Feuerbach-These: Soll Freiheit Platz haben, so kann kein noch fremdes Objekt
der sich entfaltenden Subjektivität gegenüberstehen: Fremdheit auch der Arbeit
muss aufgehoben sein.
Marxens
lapidare Formulierung gegen den kleinbürgerlichen Utopismus, Arbeit könne
nicht, wie Fourier gefordert hat, Spiel werden, gilt es revolutionär
aufzuheben. Arbeit als Arbeitsprozess, wie er alle Geschichte als Stoffwechsel
des Menschen mit - auch einer befreiten - Natur konstituiert, wird zwar auch im
Zustande der Freiheit materialistisches Prinzip sein, freilich jenem zu sich
gekommenen idealistischen unterstellt, das die <37> Kümmerlichkeit des - bürgerlich
- daseienden Materialismus vom Primat des gesellschaftlichen Seins über das
Bewusstsein im endlichen Vollzug von Geschichte: in der freien Verwaltung der
solidarisch vereinten Menschen über Sachen (und mit Natur) aufgehoben hat. Eine
den Zustand der Aufhebung des Kapitalismus angesichts seiner logisch erreichten
Endphase - Aktiengesellschaften, subsumierte Maschinenwelt und Wissenschaft -
begreifende Revolutionstheorie muss mithin, mehr als Marx pointierte, Arbeit
von ihrer Gebrauchswertseite für das Proletariat herausstellen.
Die
Revolt war - eine Bewegung gleichsam reiner Subjektivität - nicht mehr
bürgerlich-legitimatorisch und noch nicht von der Objektivität der gesamten
daseienden Klasse des Proletariats getragen; sie war noch nicht mit dem Proletariat
zur Klasse für sich verbunden. Entgegen den Defensivstrategien der
revisionistischen Linksparteien setzte sie den Akzent auf Kampf, obwohl die
allgemeinen Bedingungen noch nicht reif zu sein schienen - die nach einem Wort
von Rosa Luxemburg auch nie reif sein werden, denn die Revolution kommt immer
zu früh. Diese objektive Resurrektion der Kategorie der Subjektivität verband
die Revolt mit dem »westlichen Marxismus«, mit dessen Insistenz auf
revolutionärer Subjektivität zu der Zeit, als die junge Sowjetunion die
Aktualität der Revolution durch den Aufbau in einem Lande zur nationalen statt
internationalen Sache machte. »Den Primat von Kategorien des
Klassenbewusstseins und der Emanzipation, der dem Stand der produktiven Arbeit
und der kulturellen Bedürfnisstruktur in den hochindustrialisierten
Kapitalmetropolen angemessen ist, haben die philosophischen Theoretiker des
'westlichen Marxismus' artikuliert.« (S. 349) Die russischen Theoretiker nach
Lenin totalisierten die Revolution zur ontologischen Aktualität in
sowjetrussischer Münze. Lukács verfocht die Aktualität der Revolution weiter
zum Prinzip reiner Subjektivität: seine Kategorie des Klassenbewusstseins war
der metaphysische Ausdruck dieser Aktualität. Gleichwohl hielt Lukács damit das
subjektive Prinzip gegen dessen Objektivismus; dies beinhaltete eine
revolutionäre Kritik an der »verschütteten emanzipativen
Subjektivitätsdimension des Marxismus« der 2. Internationale (S. 200). Der
West-Marxismus nahm als Subjektivitätskategorie - gegen die auf einen
nationalen Anspruch reduzierte umwälzende Praxis - Bewusstseinskategorien in
die Theorie wieder auf, d.h. eine Seite der Marxschen Theorie, die zur Zeit der
<38> Entfaltung der Kritik der politischen Ökonomie durch die praktischen
Kämpfe des Proletariats vorgegeben war - jedenfalls rückte während der Zeit der
praktischen Arbeit von Marx und Engels die Welt in Gestalt des organisierten
Proletariats immer noch zum Gedanken, bis dieser nach dem großen Oktober
begriffsrealistisch sich über die Welt spannte. Den West-Marxismus kennzeichnen
mithin Fragen der Konstitution von Klassenbewusstsein,
Subjektivitätskategorien, welche die russischen Verhältnisse vorschnell dem
objektiven Prozess zurückgegeben hatten. Herbert Marcuse und Ernst Bloch waren
die konsequenten Theoretiker der noch nicht gesetzten Revolution, obwohl dieser
die Subjektivitätsdimension des Prinzips Hoffnung angesichts der isolierten
Sowjetunion als Kampfbegriff gegen den Faschismus erneut ontologisieren musste
und jener sie existentialphilosophisch aufbereitete. Die Theorie der Revolt
ging zurück zur Konstitution der Theorie der Revolution nach dem Oktober, zu
Lukács und Korsch. Dies hieß zugleich materialistische Reflexion auf eine Seite
der Theorie, die auch Lukács vermöge der an sich seienden Revolution
vernachlässigte, - wie Marx kaum ein Augenmerk richtete auf die
Konstitutionsbedingungen von Klassenbewusstsein beim sozialdemokratischen
Parteimitglied; »Es fehlt die historische Reflexion auf jene empirischen
Momente der Gebrauchswerte, Bedürfnisse und Interessen, die im Doppelcharakter
von Ware und Kapital die durch die Allgemeinheit abstrakter Arbeit unterdrückte
und an ihrer Entfaltung gehinderte Individualität darstellen (...)« (S. 337).
Für
Lukács und die kommunistische Bewegung nach der Oktoberrevolution war
Subjektivität eine Kategorie, die das Klassenbewusstsein je vorgab, und dies
war durch die Realität der Bewegung gesetzt. Dass freilich die objektiv nach
links drängende Realität nicht mit dem Bewusstseinsstand des Proletariats immer
einherging, zeigte schließlich der Faschismus; Reichs Begriff der »Schere«
wollte dieses Auseinanderklaffen von Ökonomie und Bewusstsein charakterisieren.
Wilhelm Reich erhob die Frage, warum die Massen gegen ihre eigenen Interessen
handelten, und benahm - gegen die kommunistischen Parteien gerichtet - der
Lukácsschen Fragestellung ihre Ontologisierung des proletarischen Bewusstseins
als Metaphysizierung der Aktualität der Oktoberrevolution. Die Praxis des
subjektiven Faktors hätte die Partei den Idealisten überlassen, die Kommunisten
seien zu mechanischen <39> und ökonomistischen Materialisten geworden.
An
dieses - »idealistische« - Erbe innerhalb des Linksmarxismus knüpfte die
Resurrektion der Theorie wieder an. Erkenntnisgegenstand wurden die »Emanzipationsbedürfnisse
der lohnabhängigen Massen«, wobei - zur Fragestellung Reichs - die Schere sich
verkehrt hatte; die seinerzeit »linke« ökonomische Realität hatte sich
gleichsam nach rechts quiesziert, dennoch war die Subjektivitätsdimension nicht
in Akkomodation aufgegangen. Auszugehen war von der Erkenntnis, »dass auf der
einen Seite Bedürfnisse heute so hochzivilisiert befriedigt werden können und
gleichwohl die Massen an das Elend der materiellen Arbeit, der materiellen
Existenzsicherung fixiert bleiben, obwohl das Reich der Freiheit, das jenseits
der materiellen Bedürfnisbefriedigung Marx zufolge liegt, längst möglich
geworden ist (...)« (S. 317)
Die
»konkrete Bedürfnisstruktur der Massen zu erkennen und mögliche emanzipative
Bedürfnisse zu formulieren« (S. 316 f), war mithin Agitations- und
Untersuchungsziel einer Theorie der Revolution im Spätkapitalismus. Dies hieß
vor allem für die Aktionsformen, die materielle Aufklärung sein sollten, von
den abstrakten Bürgerrechtsappellen aus der Zeit der Anti-Notstandskampagnen
wegzukommen. »Ein Stein zur rechten Zeit im richtigen Fenster kann Aufklärung
leisten« (S. 320), doch müssen diese Aktionen mit der Bedürfnisstruktur der
»industrieproletarischen Massen« vermittelt werden können. Indes konnte nicht
mehr an einer - zumindest links organisierten - Interessenartikulation
angesetzt werden, die durch Parteien vorbestimmt war; dann hatten sich die
manifesten ökonomischen Interessen spiritualisiert und an andere Warenkörper
geheftet denn an jene der unmittelbaren Reproduktion für die Ware Arbeitskraft.
»Die Bedürfnisse, auf die sich der Versuch revolutionärer Aufklärung richten
müsste, sind immaterieller geworden in dem Maße, in dem das Reich der Freiheit
möglich geworden ist.« (S. 339)
Die
durch den Spätkapitalismus produzierten Bedingungen von Freiheit können sich in
kapitalistischer Hand nicht freisetzen; im Gegenteil, das monopolisierte
Kapital bedarf noch der Hand des Staates, um die Möglichkeiten für Befreiung in
solche neuer Unterdrückung umzumünzen. Kennzeichnend hierfür war die Auflösung
der »gesellschaftslegitimierenden Kraft der Zirkulationssphäre«, die den
liberalen Rechtsstaat begründete; hiergegen richteten sich die Anfänge des
Protests, der mithin keineswegs <40> sozialistisch war, sondern antiautoritär
im Sinne des Protests gegen den Verlust bürgerlicher Vernunft, wie sie sich an
der Zirkulationsebene, am herrschaftsfreien Markt konstituiert hatte. Die
Aufgabe des SDS bestand darin, dieser Bürgerrechtsbewegung ein
antikapitalistisches und schließlich sozialistisches Selbstverständnis zu
vermitteln, wobei freilich im SDS selbst noch Ideologien einer
Intellektuellenbewegung herumspukten, die aus dem »Begriff des
warenproduzierenden Kleinbürgers« (S. 331) rekurrierten, und die schließlich in
jakobinischem Moralismus die an den Bedingungen des Spätkapitalismus gewonnenen
Emanzipationskategorien der »sektiererischen Übernahme zentralistischer und
disziplinärer Oganisationsmodelle« (S. 338) opferten. »Die notwendige
Hinwendung der Studentenbewegung zum Proletariat drohte mit dem Versuch, die
Revolution mit den überlieferten Kategorien des Klassenkampfes zu artikulieren,
zugleich die Prinzipien der revolutionären Emanzipation zu ersticken .« (S. 301
f)
Emanzipationskategorien,
welche die Möglichkeit der Befreiung in den sozialistischen Kampf hineintragen
und nicht kaderhaft vorausschicken sollten, hatten sich sowohl aus der
Alltagspraxis des Proletariats zu konstituieren wie am Vorhandensein des
etablierten Sozialismus. Der Alltagspraxis des Proletariats galt es durch die
Untersuchungsarbeit - die als revolutionäre immer Agitation und Aktion
einschließt - Emanzipationsbegriffe negativ am Verlust revolutionären Erbes, am
verdinglichten Bewusstsein zu kontrastieren; aus der Gebrauchswertdimension
galt es Emanzipationskategorien zu gewinnen, die das Proletariat sich nach Marx
durch den Produktionsprozess als subjektive Konstitutionsbedingungen für
Klassenbewusstsein in konkreter Arbeit aneignet: Kooperation, Kommunikation,
Solidarität. »Eine Agitation des Proletariats, die nicht das geschichtslose
Lebensschicksal der Massen thematisiert, kann den Zusammenhang von
gesellschaftlicher Produktion und Spontaneität im Bewusstsein der Massen nicht
rekonstruieren und emanzipative Bedürfnisse nach einem glücklichen Leben weder
freilegen noch zu einem politischen Totalitätsbewusstsein vermitteln.« (S. 340)
Aufklärende Praxis, der »Standpunkt des Proletariats« hieß somit, »eine
praktische Periode revolutionärer Aufklärung zu entfalten, in welcher der
gesellschaftliche Reichtum und die gesellschaftlich mögliche Kultur als unter
dem Aspekt der Aneignung durch die Produzenten dargestellt wird.« Es erhellt,
dass Krahl nicht einem flachen Proletarianismus <41> verfällt und die
historische Vorhandenheit des Proletariats der Revolution zuordnet, anders als
Lukács, der - allerdings unter dem Gesichtspunkt der Aktualität der
Oktober-Revolution umstandsloser vorgehen konnte. Gewicht erhält die Kategorie
der Produktion als geschichtsphilosophischer Emanzipationsbegriff, wie Marx ihn
in der »Deutschen Ideologie« entwickelte. Im Begriff der Produktion steckt,
dass die Menschen die Geschichte selber machen, dass sie im Stoffwechsel mit
der Natur und in Arbeitsteilung und Kooperation untereinander ihre
Gattungskräfte gewinnen, um schließlich Herren zu werden über ihre Produktion,
d.h. Herrschaft abschaffen und sich zu solidarischem Verkehr befähigen. Krahl
hebt diese »metaökonömische Seite des materialistischen Produktionsbegriffs«
(S. 337) hervor. Zwar impliziert der Begriff gemäß der Entfaltung der
Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse Arbeitsteilung und an diese
gebundene Herrschaft, doch ist dies Teil des über unbefreite Geschichte
vermittelten synthetischen Urteils der Produktion; konstitutiv für den Begriff
ist die Selbstreproduktion der Gattung, mithin Selbsttätigkeit; Bedürfnisse
werden befriedigt und auf erweiterter Stufenleiter produziert. Krahl nennt
diese vorkritische Instanz »Konsumtionsbewusstsein« als »das Bestimmungsmoment
spontaner und emanzipativer Produktivität«.
Lukács
hatte in der Vorrede zu der Neuauflage von »Geschichte und Klassenbewusstsein«
ähnlich argumentiert - was freilich folgerichtig ist, denn die Kategorie der
Totalität, eine Kardinalkategorie von »Geschichte und Klassenbewusstsein«, ist
selbst ein Produktionsbegriff; Lukács' Thematik, der er seine Lebensarbeit
widmete, blieb es, den philosophischen Zusammenhang von Ökonomie und Dialektik
zu ergründen. Lukács merkt selbstkritisch an, ein Subjektivismus überwiege in
seinem Buche, trotz der historisch-materialistischen Darstellungsweise; so
falle der Begriff der Arbeit als Vermittler des Stoffwechsels zwischen
Gesellschaft und Natur aus den Überlegungen heraus. »Der große Gedanke von
Marx, dass sogar die 'Produktion um der Produktion halber nichts heißt, als
Entwicklung der menschlichen Natur als Selbstzweck', liegt außerhalb des
Bereichs, den 'Geschichte und Klassenbewusstsein' zu betrachten imstande ist.
Die kapitalistische Ausbeutung verliert diese ihre objektiv revolutionäre Seite
(...)«
<42>
Ihr galt Krahls Augenmerk. »Produktion als (...) auf den Fortschritt und die
Befreiung der Bedürfnisse gerichtete und autonome Lebenstätigkeit
ermöglichende, steht in einem unauflöslichen Zusammenhang zur politischen
Spontaneität.« (S. 338) Produktion ist also »Prinzip von Geschichte« (S. 386),
und damit - zumindest für die kapitalistisch beherrschte - schließt der Begriff
Klassenkämpfe, die klassenmäßige Subjektivitätsdimension ein, die der
Emanzipation zugrunde liegt und im Aktus ihrer Herstellung als praktische
Negation der bürgerlichen Formbestimmung von Geschichte die positiven Momente
künftiger Freiheit erarbeitet und erkämpft. »Emanzipation (...) will, dass die
Individuen die industriellen Produktionsmittel organisieren, um miteinander
glücklich verkehren zu können. Der verkürzte Emanzipationsbegriff« - und dies
bezeichnet die Richtung der zweiten Seite der Kritik »zielt nur auf ein
verändertes Eigentumsverhältnis der Menschen zu den dinglichen
Produktionsmitteln, nicht aber auf ein verändertes Verkehrsverhältnis der geschichtlichen
Individuen untereinander.« (S. 300) Emanzipation impliziert auch »die bestimmte
Negation des sowjetmarxistisch entstellten Begriffs vom Sozialismus, der diesen
an das Bild technologisch reibungslos funktionierender und staatlich kontrollbefugt
geplanter sowie bürokratisch rationalisierter Produktion festmachte.« (S. 299)
Die
Isoliertheit der Revolt von der Produktion, der die revolutionäre Kritik
abzugewinnen war, verkörperte die Bewegung in einen Subjektivismus, der die
theoretischen Einsichten nicht in eine revolutionäre Organisationsform umsetzen
ließ; die revolutionäre Kompromißlosigkeit, die Che Guevara zum Vorbild machte,
war Ausdruck des notwendigen revolutionären Idealismus, - so dass auf der einen
Seite betont werden musste, »wir sind keine revolutionären Schwärmer« (S. 148),
und auf der anderen das Elend des noch nicht materialisierten Idealismus
aufzudecken war, jener Zustand, dass »die Praxis selbst (...) die Träger eines
subversiven Bewusstseins zu Utopisten (abstrahiert).« (S. 166) Dies hatte zur
Folge, dass die »antiautoritäre Emanzipationsvernunft« (S. 305) sich um den
Preis ihrer Selbstaufgabe vorerst nur kleinbürgerlich sektiererisch
organisieren konnte. »Wenn es also stimmt, dass das antiautoritäre Bewusstsein
von den kapitalistischen Kategorien antiquiert liberaler und modern
technologisierter Verkehrsformen heraus in den Naturzustand kleinbürgerlicher
Sozialisationsfeindschaft übergehen musste, dann gibt es so etwas wie eine im
Marxschen Sinne dieses Begriffs naturgesetzliche <43> Tendenz zur
Selbstzerstörung der (antiautoritären Emanzipationsvernunft.« (S. 305)
Krahl
kritisierte an der Marxschen Theorie der Revolution, sie projiziere »die
Verlaufsform bürgerlicher Revolutionen auf die Verlaufsform proletarischer
Revolutionen« (S. 391), er »apriorisierte« die Dialektik von bürgerlicher und
proletarischer Revolution (S. 390), und das Klassenbewusstsein setze sich bei
Marx »als naturwüchsige Spontaneität hinter dem Rücken und über die Köpfe der
Proletarier hinweg durch. Klassenbewusstsein bildet sich gleichsam nach der
metaphysischen Logik: des Weltgeistes.« (S. 390)
Offensichtlich
gehen in diese Metaphysizierung der »praktischkritischen Tätigkeit« (Marx) zu
einer hegelschen Logik der Geschichte noch Vorstellungen der kritischen Theorie
ein, wie sie sich diese in ihrer nekrologischen Gestalt (Habermas, Wellmer)
abmüßigte. Weniger eine Kritik an Marx könnten diese Sätze belegen, als die
Akzentuierung der Konstitutionsproblematik im Anschluß an Marx und Lenin.
Angesichts des weltweiten Anwachsens der sozialistischen Bewegung war es
Marxens wichtigste Aufgabe, die bürgerliche politische Ökonomie kritisch
darzustellen, um dadurch die ökonomische Möglichkeit der Revolution zu
skizzieren. Die Kritik der politischen Ökonomie zeigt zwar den Kapitalismus als
historisches Phänomen; genauer: aus dem Aspekt seiner revolutionären
Aufhebbarkeit. Diese »Kritik« liefert freilich noch nicht die
Konstitutionsbedingungen von Subjektivität mit, welche die praktische Negation
wird durchführen müssen. Der Ökonomismus des »Kapital« ist der naturhafte
Objektivismus der kapitalistischen Verlaufsform der Gesellschaft, bis die
Arbeiter »gegen die Schlange ihrer Qualen (...) ihre Köpfe zusammenrotten« und die
Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlagen lassen, die Expropriateure
expropriieren und die »Negation der Negation«
praktisch vollziehen. Wie diese Praxis auszusehen hat, kann der »kritische
Kommunismus« (Engels) nicht in utopistische Konzepte einsperren. Krahls Kritik
müsste mithin eher den marxistischen Parteien nach der Oktober-Revolution als
Marx selbst gelten. Marx hatte sich sogar in Zeiten des illegalen
sozialdemokratischen Kampfes gegen geheime Gruppenbildungen ausgesprochen und
kritisiert diese in einer Weise, die auch Krahls Intention bezeichnet, obwohl
eine Stufe <44> illegalen Kampfes während der Revolt noch nicht
erforderlich war. Gegen kadristische Zirkelwirtschaft hebt Marx die
kommunistische Verkehrsform der solidarischen Kommunikation ab, die noch
Instanz zu sein hat in der Ausbildung des Proletariats zur Klasse für sich. »Im
übrigen steht dieser Organisationstypus (der geheimen Gruppen, H.R.) im
Widerspruch zu der proletarischen Bewegung, weil diese Gesellschaften, statt
die Arbeiter zu erziehen, sie autoritären und mystischen Gesetzen unterwerfen,
die ihre Selbständigkeit behindern und ihr Bewusstsein in eine falsche Richtung
lenken.«
Gleichwohl unterstreicht Krahls Entwurf, dass die organisatorische Vermittlung
von Theorie und Praxis - »Unsere Demokratie ist direkt und unmittelbar« (S.
153) - nicht auf angestammte Errungenschaften der revolutionären
Arbeiterbewegung zurückgreifen kann, vielmehr die Bedingungen von
revolutionärer Subjektivität nach je neuen historisch-ökonomischen Bedingungen
wird bestimmen müssen. Dies ist nicht auf kleinbürgerliche Verfallsformen der
Bewegung gemünzt. Eine politische Intellektuellenbewegung muss sich auflösen,
will sie nicht Formen bürgerlichen Verkehrs sich inkorporieren. »Eine
politische Intellektuellenbewegung muss Momente kleinbürgerlicher Asozialität
entfalten, wenn sie aus bürgerlichen Verkehrsformen sich löst, nicht in eine
proletarische Organisation sich integrieren und sich gleichwohl als
eigenständige Klasse nicht setzen kann.« (S. 304) Zudem kann eine politische
Intellektuellenbewegung nicht leisten, was die Arbeit einer revolutionären
Klasse sein wird. Mithin gesteht Krahl zu: »Dieses Problem ist völlig
ungelöst.« (S. 256) Prämisse der spätkapitalistischen Kämpfe bleibt allerdings:
»Je überflüssiger Arbeit wird, umso herrschaftsfreiere Organisationsstrukturen
muss die revolutionäre Bewegung annehmen.« (S. 196f)
Von der
studentisch-kleinbürgerlichen Basis des antiautoritären Emanzipationsinteresses
läßt sich die Organisationsfrage weniger in Kategorien herkömmlicher
Notwendigkeiten proletarisch -kämpferischer Vereine und Parteien darstellen -
die den Zwang des Arbeitstages in der Organisation wiederholen mussten, um
kampffähig zu bleiben - als über die Möglichkeit der Einsicht in die
»historische Notwendigkeit der Revolution« (S. 314), an der sich längerfristige
Agitationstätigkeit bemessen könnte.
<45>
Dieses revolutionäre Bewusstsein kam jenem Teil der Bewegung nicht zu, der es
beim antiautoritären Protest beließ und schließlich in die herkömmlichen Formen
kleinbürgerlichen Individualprotests zu »liebesschwüligem Gemütstau« (Marx)
retardierte, der als »wahrer Sozialismus« zu Marxens Tagen noch
komödiantenhafte Züge aufwies, heute aber zur Farce geworden ist. Bei Lukács
reflektiert die Organisationsform Freiheit nur in der Weise äußerster
selbstauferlegter Disziplin; der Kommunismus als herrschaftsfreier Verkehr der
Genossen war gesetzt vermöge der Organisation, Disziplin nach Maßstäben der
calvinistischen Ethik bildete umfangslogisch die Einschränkung der
kommunistischen Kommunikation, solange die Revolution noch westwärts ziehen
musste. Die Organisation gewann so die Züge einer bürgerlichen
Gelehrtenrepublik, in der Kantische Prinzipien der Sittlichkeit rätehaft
organisierte Proletarier mit der Leninschen Avantgarde vermittelten. Spezifische
Formen des revolutionären Kampfes wurden somit hypostasiert, die Organisation
wurde »zur transzendentalen Form der Vermittlung von Theorie und Praxis« (S.
344). Der kommunistische Verkehr der Individuen konnte nur als abgehobene Logik
die Praxis begleiten; die Entfaltung einer emanzipatorischen Sinnlichkeit,
einer kommunistischen Bedürfniswelt musste verschoben werden auf den Tag der
erfolgten Umwälzung.
Gewiss
müssen sich Bedürfnisse und freier Verkehr in andrer Form zu Zeiten jener
revolutionären Kämpfe darstellen, welche die bürgerliche Revolution zugleich
besorgen müssen und damit auf politische Mittel der ursprünglichen Akkumulation
zurückgeworfen sind. Die ersten Versuche des Proletariats, »in der Periode des
Umsturzes der feudalen Gesellschaft direkt sein eignes Klasseninteresse
durchzusetzen, scheiterten notwendig an der unentwickelten Gestalt des
Proletariats selbst wie an dem Mangel der materiellen Bedingungen seiner
Befreiung, die eben erst das Produkt der bürgerlichen Epoche sind.« Im Selbstverständnis
der Protestbewegung hatten sich die materiellen Bedingungen der bürgerlichen
Epoche hinlänglich entwickelt, die Aktualität der Revolution war nicht nur eine
politische - wie bei Lenin -, sie war begründet in den ökonomischen Produkten
der Bourgeoisie.
<46>
Damit konnte der kommunistische Vorschein, die Entfaltung des freien Verkehrs
der Individuen in und vermittels des Kampfes wieder zu einer Bedingung der
Revolution werden. »Eine neue organisatorische Qualität kann nur erreicht
werden, wenn sich die Bewegung massenhaft und kollektiv auf eine neue
Reflexionsstufe hebt und Agitation und Propaganda inhaltlich verändert im
Hinblick auf eine Theoriebildung, die abstrakte Totalitätskategorien immanent
mit Begriffen der Bedürfnisbefriedigung verbindet.« (S. 345). Eine
»Organisation des Widerstandes« (S. 153) muss ständig das Dilemma praktisch
angehen, dass sie Objekt kapitalistischer Herrschaft ist und zugleich
emanzipatorische Verkehrsweisen ausbilden muss, um jene transzendieren zu
können; »eine Organisationsform herauszubilden, die unter den Bedingungen des
Zwanges und der Gewalt sowohl autonome Individuen herausbildet, als auch
solche, die zu einer bestimmten disziplinären Unterordnung unter die
Erfordernisse des Kampfes und unter die Bedingungen des Zwanges fähig sind.«
(S. 256)
Die
Hoffnung der Bewegung bestand darin, dass sie nicht, wie eine, die auf Gewalt
sich aufbaut, da physisches Elend die Gewaltform der ursprünglichen
Akkumulation ihr vorgibt, die kapitalistischen Gewaltformen reproduzieren muss.
Dennoch bedeutet Organisation Vermittlung von Freiheit und Zwang nach Maßgabe
der politisch-ökonomischen Möglichkeiten der Revolution. »Die bestimmte
Negation des bürgerlichen Tauschverkehrs, zugleich solidaritätsbildend für
proletarische Organisationsformen, würde bedeuten, dass ein jeder um der
Emanzipation des anderen willen sich so viel Unterdrückung aufzuerlegen
imstande ist, dass er seine Emanzipationsbedürfnisse nach den Gesetzen des
politischen Kampfes einschränkt. Die politische Moral des revolutionären
Kommunisten diszipliniert sich zum Kampf und antizipiert zugleich die
solidarische Basis des herrschaftsfreien Verkehrs durch die bestimmte Negation
der tauschwertbedingten Verkehrsform.« (S. 307)
VII.
Ökonomiekritisch
muss der Organisationsfrage der Stand der kapitalistischen Produktion zugrunde
gelegt werden. Nun hatten Marx und Engels - wie Krahl pointiert - zwei
Endpunkte der kapitalistischen Naturwüchsigkeit bestimmt: das Aktienkapital
<47> und die als Kapitalform gesetzte große Maschinerie. »Beide deuten
ihnen zufolge auf eine Vergesellschaftungsqualität des ökonomischen Verkehrs,
welche die freie Assoziation der unmittelbaren Produzenten, die sozialistische
Produktionsform objektiv ermöglichen, wie Marx von der Aktiengesellschaft schreibt.«
(S. 352)
Krahl
geht aus von der Veränderung der Formbestimmung der abstrakten Arbeit. Bei Marx
ist der Begriff der abstrakten und konkreten Arbeit konstitutiv für die
Werttheorie. Die Waren bilden als Arbeitsprodukte die Einheit von konkreter und
abstrakter Arbeit. Während die konkrete Arbeit die in die Ware hineingesteckte
sinnlich-nützliche Tätigkeit beizeichnet, so die abstrakte die allgemeine
menschliche Arbeit, unter Abstraktion von den sinnlichen Beschaffenheiten der
Tätigkeit. Die Kategorie will den Begriff des Werts der Ware erhellen, als
gesellschaftliche Substanz der Ware. Als wertbildende Substanz ist Arbeit
abstrakte Arbeit, und damit historisch formbestimmt durch eine Bedingung,
welche Ware und Wert zu kritischen und aufzuhebenden Gegenstandsformen macht:
die entfremdete gesellschaftliche Teilung der Arbeit. »Nur Produkte
selbständiger und voneinander unabhängiger Privatarbeiten treten einander als
Waren gegenüber.« Der
Begriff der abstrakten Arbeit denunziert mithin die kapitalistische
Formbestimmung der Arbeit, die nicht nur ihren sinnlichen Produkten die
Warenhaut überzieht, sondern auch den Formen ihres Verkehrs; die Verhältnisse
der Menschen verdinglichen zu naturhaften Gegebenheiten.
Am
Begriff der abstrakten Arbeit als undurchschauter Gesellschaftlichkeit im
Gegensatz zur naturkonstant stofflichen konkreten Arbeit, deren
Formbestimmtheit nicht eingeschrieben ist, dass sie an die Warenform gekettet
bleiben muss - eine Zwieschlächtig-keit, die gleichwohl die kapitalistische
Synthesis des Produkts als Ware ausmacht -, setzt Marx den »Springpunkt« der
Kritik an und gelangt schließlich zur Kategorie des Mehrwerts und der
Akkumulation. »Aus der Kritik an diesen Kategorien erschließt sich die
Gesellschaft als eine Herrschaftstotalität von Verdinglichung, Ausbeutung und
Krise.« (S. 336) Angesichts des Monopolkapitalismus stellt sich die Frage, ob
sich »ein Wandel in der kategorialen Verfassung der kapitalistischen
Produktionsweise, nämlich in der Totalität abstrakter Arbeit« (S. 343), vollzogen
hat, und welche Konsequenzen »eine qualitativ neue Dimension« des <48>
»Widerspruchs von Vergesellschaftung und Privateigentum, von gesellschaftlicher
Arbeit und Privatarbeit« (S. 295) ergibt. Krahl stellt die These auf, dass die
»ökonomische Potenzierung der außerökonomischen Staatsgewalt und die
technologische Umsetzung der Wissenschaften ins kapitalfixierte
Maschinensystem« (S. 350) eine neue Qualität gesetzt hätten, obgleich die
qualitativen Formen der Veränderung an den Kategorien der Kritik der politischen
Ökonomie wie Ware und Wertsubstanz noch »unklar« sind, wie Krahl einräumt (S.
92). Ausgangspunkt heutiger revolutionstheoretischer Überlegungen bleibe, dass
die »in der Marx-schen Lehre kritisch dargestellte naturgesetzliche
Krisengeschichte der kapitalistischen Gesellschaftsformation (...) sich
geschichtlich erfüllt (hat)« (S. 124). Mit dieser reellen Entfaltung der
politischen Ökonomie, deren materialistische Objektivität als Kategorialität
begründet, dass Marxens Darstellung zur Logik der kapitalistischen
Geschichtsepoche, zum System einer negativen Ontologie zusammenwächst, hat die
politische Ökonomie sich ihre materialistische Kategorialität
gesamtgesellschaftlich vermittelt.
Die
Naturwüchsigkeit der Entfaltung des Kapitalverhältnisses, die kategorielle
Materialität und materielle Logizität, hat sich auf der Ebene des Weltmarktes
gesetzt. Bei Marx hatte die bürgerliche Gesellschaft sich total den Dingen und
Menschen aufgezwungen - wenngleich noch formell -, als das Geld der Inbegriff
der Ware geworden war; die Universalität der Warenform als Geldform vermöge des
Weltmarktes ist die materialistische Adäquation der Daseinsweise des Geldes mit
seinem Begriff .
Dieser ersten über die Ware totalisierten Welt als formelle Totalität der zum
Begriff, zum Schein, zum Geldzeichen immaterialisierten Gesellschaftlichkeit
der Arbeit, die zugleich ihre Verdinglichung nach Maßgabe der Geldformen
kennzeichnet, folgt der Gang der kapitalistischen Geschichte als progredierend
akkumulierter Mehrwert, bis die Welt zu einer neuen Begrifflichkeit
qualifiziert ist, das Kapital seinem Begriff - formell - adäquat wird. Dies
wäre die von Krahl gegebene Stufe des eingetretenen Endpunktes der
kapitalistischen Naturwüchsigkeit mit den beiden Seiten Aktienkapital und »kapitalfixiertes
Maschinensystem«. Auf dieser Stufe, die Marx als die reelle Subsumtion der
Arbeit unter das Kapital beschreibt, <49> realisiert sich erst die
»Produktion um der Produktion willen« .
Die
immanenten Tendenzen des Kapitals haben sich materialisiert, damit auch ihre
Schranken, wie Krisen und Überproduktion. Die Materialisierung der immanenten
Tendenz des Kapitals erweitert die politische Ökonomie als vorrangig daseiende
Kategorialität des kapitalistischen Systems; Krisenmanagement, Staatsintervention
und Technologisierung des Kapitals
erweitern die Kategorien, welche die »Kritik« angesichts des entfalteten
Kapitalverhältnisses in sich aufnehmen muss. Für eine revolutionstheoretisch
sich begreifende Kritik heißt dies, dass die offiziellen Wirtschaftswissenschaften
mit der sich realisierenden Immanenz des Kapitals deformiert wurden zur
Hilfswissenschaft für die Steuerung destruktiver ökonomischer Prozesse, denen
die ehemals angestrebte Einsicht in die Totalität der bürgerlichen Reproduktion
gleichgültig geworden ist. Eine revolutionäre Theorie kann an einem heutigen
Ricardo ebensowenig mehr ansetzen wie die Methode an einem heutigen Hegel.
Offensichtlich reichen - revolutions-theoretisch - die heutigen ökonomischen
Regelsysteme nicht mehr aus, die Marxsche Kritik gemäß der entfalteten Immanenz
dieser Systeme darzustellen.
Krahl
hat die Erweiterung der »Kritik« benannt - er konnte sie freilich nicht
ausführen. »Eine Theorienkritik der modernen Wirtschaftstheorie muss
problematisieren, ob deren Kategorien noch im Marxschen Sinn hinreichende
Existenzbestimmungen der monopolkapitalistisch gewandelten Produktionsweise
sind, und (dass) die Kritik an ihnen nicht mehr ausreichen könnte, um
revolutionäre Theorie zu bilden, als einer Lehre, deren Aussagen die Gesellschaft
unter dem Aspekt radikaler Veränderbarkeit beschreibt.« (S. 348) Die neue
Qualität des Kapitalverhältnisses hat für die revolutionäre Agitation
entscheidende Implikationen. »Wenn sich nun das Verhältnis des Staates zur
Wirtschaft dadurch verändert hat, dass der Staat selbst ein Produktionsfaktor
und ein elementarer Regulator des ökonomischen Prozesses geworden ist, wenn
sich also dieses Verhältnis von Politik und Ökonomie, in dem sich ja
schließlich die Klassen, wie sie an sich selber beschaffen sind, konstituieren,
geändert hat, wie hat sich dann die Klassenlage sowohl der Kapitalisten als
auch der Lohnabhängigen an sich selber verändert?« (S. 260)
<50>
Aus der These des mit der reellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital
erreichten Endpunkts einer Logik des Kapitalverhältnisses an den Kategorien der
politischen Ökonomie folgt eine Erweiterung des Erkenntnissubjekts für
Veränderung - freilich nach Maßstab der Marxschen Theorie, dass der
Akkumulationsprozess die »neue Schöpfung von Lohnarbeitern« einschließt. Die
Realisierung der immanenten Tendenzen des Kapitals produziert die »kombinierte
Tätigkeit« der Arbeitsvermögen als Gesamtarbeiter, »ein sozial kombiniertes
Arbeitsvermögen« wird der »wirkliche Funktionär des Gesamtarbeitsprozesses« und
bildet »die gesamte produktive Maschine, (...) der eine mehr mit der Hand, der
andre mehr mit dem Kopf (...), der eine als manager, engineer, Technolog, etc.,
der andere als overlooker, der dritte als direkter Handarbeiter oder gar bloß
Handlanger«.
Diese gesamte produktive Maschine als Resultat des kapitalistischen
Produktionsprozesses ändert freilich nichts daran, dass nicht jeder
Lohnarbeiter produktiver Arbeiter ist, d.h. mit der Produktion von Mehrwert
sinnlich beschäftigt. Wichtig ist hierbei, dass die Kategorie des Lohns den
Verwertungsprozess mystifiziert und stets Ausbeutung über Mehrarbeit und
Herrschaftsformen dieser Exploitation impliziert. Durch die reelle Subsumtion
werden Formen der Arbeit entschleiert, die bisher »einen Heiligenschein um sich
hatten«, und Tätigkeiten entweder direkt in Lohnarbeit verwandelt oder deren
Gesetzen unterworfen.
Anders gesagt: die realisierte Produktion des relativen Mehrwerts verwandelt
alle Dienste in Lohnarbeit. Dieser Vorgang birgt die Möglichkeit klassentheoretischer
Konsequenzen, wenn, wie Marx sagt, die »materielle Produktion« sich
verändert. Lohnarbeiter sind Menschen, die sich als Ware Arbeitskraft zu
verkaufen gezwungen sind. Der Lohn deckt jedoch nur die - mit moralischen
Elementen historisierten - Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft. Der
Lohnarbeiter erhält sein Salär für seinen gesamten Werkeltag - obwohl er einen
Teil desselben Mehrwert schanzt - und muss somit dem Schein unterworfen sein,
als handle es sich um ein im Ganzen »gerechtes« Geschäft. Einsicht in die
Kategorie des Lohns, und damit in die Dialektik von Lohnarbeit und Kapital,
Mehrwert, Akkumulation, sind mithin <51> Bedingung der Konstitution von
Klassenbewusstsein. Wie Lukács wiederholt hat: Klassenbewusstsein ist das
Selbstbewusstsein der Ware Arbeitskraft. Mit der Verwandlung von Diensten in
Lohnform, von versprengten kleinbürgerlichen Tätigkeiten in die gesamte
produktive Maschine erweitert sich das Quantum derer, welche die Bedingung der
Möglichkeit zur Entwicklung von Klassenbewusstsein erfüllen: allerdings nur die
Bedingungen, denn die Lohnkategorie beinhaltet vorerst lediglich die Avancen
des Kapitals - nicht Klassenbewusstsein selbst.
Indessen
sind mit diesen Erwägungen Probleme einer Theorie der Revolution wiederum nur
bezeichnet; mit der Erweiterung des Lohnbegriffs ist noch nichts über die
inhaltliche Seite der neuen Formbestimmung der Arbeit ausgesagt. Die
materialistische Empirie müsste untersuchen, wie sich Warenform, Kapitalform,
Lohnform, Klassenkampfform im entfalteten Kapitalismus zu ihrem Begriff in der
Marxschen Theorie verhalten. Krahl hat es immerhin gewagt, diese theoretisch
noch keineswegs überall schlüssigen Entfaltungen der Marxschen Theorie
konsequent weiterzudenken. Wenn es stimmt, dass sich »die Totalität der proletarischen
Klasse insgesamt erweitert« hat (S. 295), dann deckt sich das mögliche
revolutionäre Totalitätsbewusstsein nicht mehr mit der Einschränkung desselben
aufs Industrieproletariat. »Mit der fortschreitenden Vergesellschaftung des
Kapitals und der produktiven Arbeit und der technologischen
Verwissenschaftlichung der Produktion wird auch das unmittelbare
Industrieproletariat immer mehr zum Moment im Arbeitsprozess. Es repräsentiert
weniger denn je Totalität produktiver Arbeit.« (S. 334) Vorab impliziert dies,
dass »der Übergang vom Konkurrenz- zum Monopolkapitalismus« (S. 331) - genauer,
der Übergang von der formellen zur reellen Subsumtion - als »neue
Vergesellschaftungsqualität (...) den Klassenantagonismus insgesamt
(verändert)« (S. 332). Nach Marx verändert sich mit dem kooperativen Charakter
des Arbeitsprozesses notwendig der Begriff der produktiven Arbeit ,
gemessen an den Organfunktionen des Gesamtarbeiters. »Die Wissenschaft als das
allgemeine geistige Produkt der gesellschaftlichen Entwicklung, erscheint hier
(...) dem Kapital direkt einverleibt.«
Krahl
nimmt die Marxsche These von der Erweiterung des Begriffs der produktiven
Arbeit - »Um produktiv zu arbeiten, ist es nicht mehr nötig, selbst Hand
anzulegen; es genügt, Organ <52> des Gesamtarbeiters zu sein, irgendeine
seiner Unterfunktionen zu vollziehn« -
wörtlich, ohne die inhaltliche Seite zu besehen, und geht aus von einer
»historisch neuen Qualität der Wissenschaft als Produktivkraft« (S. 330).
Daraus ergäben sich folgende Konsequenzen: die »strategische Fehleinschätzung
eines industrieproletarisch verengten Klassenbegriffs« (339); das
Industrieproletariat kann nicht mehr »die Totalität des Klassenbewusstseins,
also in der Wahrnehmung der Produktions- und Herrschaftstotalität der Gesellschaft,
produzieren«, die Totalität des Klassenbewusstseins könne nur wiederzugewinnen
sein mit Hilfe einer » Organisation der wissenschaftlichen Intelligenz, des
Heers der Industriearbeiter und produktiven Angestellten« (S. 296); die
»wissenschaftliche Intelligenz gehört ihrer objektiven Lage zufolge tendenziell
der herrschenden Klasse nicht mehr an, nur noch ihrer sozial zurechenbaren
geschichtlichen und sozialen Herkunft nach« (S. 354), damit ist der
»Klassenverrat (...) organisierbar geworden« (354); »ohne die organisierte
produktive wissenschaftliche Intelligenz (ist) die Bildung eines auf die
bürgerliche Gesellschaft insgesamt bezogenen Klassenbewusstseins auch im
Industrieproletariat unmöglich« (S. 335). Der These von der neuen Totalität des
Proletariats fügt Krahl hinzu: »Noch so viele spontane Streiks in der BRD, in
den Turiner Fiat-Werken und so weiter werden nichts daran ändern, dass das
Industrieproletariat als Industrieproletariat ein Moment in der gesamten Klasse
ist, aber nicht diese Klasse in ihrer Totalität repräsentiert.« (S. 318)
Deshalb muss die »Bewegung wissenschaftlicher Intelligenz (...) zum kollektiven
Theoretiker des Proletariats werden - das ist der Sinn ihrer Praxis.« (S. 345)
Zweifellos
hat Krahl Ansätze einer Revolutionstheorie des entfalteten Kapitalismus
gegeben; allerdings sind seine Folgerungen nicht immer ausgewiesen und seine
Theorie des kollektiven Theoretikers des Proletariats in Gestalt der
»wissenschaftlichen Intelligenz«, sowie der neuen Qualität von Wissenschaft, trägt
Züge der Frankfurter Schule. Nicht die organisierte wissenschaftliche
Intelligenz wird Theoretiker der proletarischen Bewegung stellen, ebensowenig
wie der Feuerbachsche »Mensch« zum Sozialisten wird, sondern nur Teile dieser
Intelligenz werden in Allianz mit der proletarischen Bewegung als Sozialisten
sich auf dem Standpunkt der revolutionären Arbeiterklasse <53> begreifen.
Freilich verfällt Krahl nicht dem - frankfurterischen -Trug, der Wissenschaft
auch noch die Homunkulusfunktion einzuverleiben, in ihrer Omnipräsenz den
Mehrwert zu hecken. Krahl betont, dass »die Wissenschaft (nicht) zur
eigenständigen Mehrwertquelle (wird)«, sondern das »lebendige Arbeitsvermögen
(...) erste und einzige Mehrwertquelle« bleibt (S. 327). Dennoch sind Begriffe
wie »produktive Angestellte« (S. 321) oder »Organisation der wissenschaftlichen
Intelligenz«, als machte diese Funktion Sozialisten, höchst beirrend. Noch gibt
es nicht: »nur eine ökonomische Klasse, eine
gesamtgesellschaftlich verallgemeinerte Lohnarbeiterschaft, die das Proletariat
in sich aufgehoben hat« (S. 176), wie Krahl fragend formuliert. Der
Kapitalismus ist seinem Begriff noch nicht derart adäquat, dass der
gesellschaftlich struktive Klassenantagonismus sich eindimensionalisiert hätte
zu dem »Volk« und einigen sinnlichen Restbeständen zurückgebliebener
Charaktermasken von Monopolmanagern oder -eignern: das Kapital wird sich nicht
selbstliquidatorisch organisieren, das Proletariat hat sich noch nicht
kapitalnegatorisch organisiert. Die immanente Transzendenz des
Kapitalverhältnisses bleibt praktisch zu organisieren; entsprechend der
Erweiterung des Begriffs der Lohnarbeit vermöge der realen Subsumtion und damit
erweiterter Bedingungen der Möglichkeit der Konstitution von Klassenbewusstsein
- hierzu bedarf es keines Kultus eines neuen wissenschaftlichen Menschen, wie
er keimförmig der Theorie der Produktivkraft Wissenschaft zugrunde liegt. Die
Theorie der wissenschaftlichen Intelligenz, die das Proletariat organisatorisch
in sich aufzunehmen vermeint, erweist sich als spezifische Überlegung der
studentischen Linken, der es in der Tat oft nicht besser geht als dem
kleinbürgerlichen Herrn Röscher, dem Marx bescheinigt, er bestehe aus
einerseits - andererseits. Einerseits will die studentische linke Praxis die
obiektiven Interessen der Arbeiterklasse artikulieren, zum andern ist sie von
der Vereinnahmung der Bourgeoisie als wissenschaftliche Intelligenz bedroht;
die Theorie des Gesamtarbeiters, wie sie in der Protestbewegung formuliert
wurde, bietet die Hoffnung, nachuniversitär der Totalität des
Klassenbewusstseins versichert zu sein. Vorerst ist der Gesamtarbeiter
allerdings noch der neue Kleinbürger, dies wäre negatives Implikat der
Krahlschen Frage nach der »einen« ökonomischen Klasse. Der hervorgehobenen
Notwendigkeit einer Organisationsform der wissenschaftlichen Intelligenz,
<54> wobei der Wissenschaft - entgegen dem durchgängigen Zug bei Marx,
dass Wissenschaft vor ihrer sozialistischen Anwendung immer die für das Kapital
ist - ein eudämonistischer Zug einhergeht, verbindet sich ökonomische
Überschätzung der Produktivkraft Wissenschaft: »Technik und Wissenschaft haben
ein produktiv umgesetztes Entfaltungsstadium von systemsprengendem Ausmaß
erreicht. Die neue Vergesellschaftungsqualität der produktiven Arbeit durch die
technologische Verwissenschaftlichung der Produktion vermag ihre zwangsweise
kapitalistische Vergegenständlichung nicht mehr zu tolerieren.« (S. 333 f.)
Das
Gegenteil scheint angesichts der Produktion gigantischer Destruktionsmittel im
Dienste kapitalistischer Akkumulation der Fall zu sein . Die Technik hat noch,
wie Agricola (um 1530) zu Eingang kapitalistischer Werkzeugentwicklung anmerkt,
Gut und Böse in sich, Potenzen, die durch die Formbestimmung der Arbeit
realisiert werden, und Lohnarbeit ist kapitalistisch ausgebeutete Arbeit im
Dienste von Mehrwert und dessen Akkumulation. Die Qualität der Produkte der
menschlichen Arbeit ist noch davon bestimmt, dass der toten Arbeit selber
Herrschaft innewohnt, da ihr Gebrauchscharakter zum Moment depraviert ist. Auch
wäre dieser nicht konstitutiv für das Kapital, dem seine »stoffliche Gestalt,
worin es im Arbeitsprozess erscheint, ob als Dampfmaschine, Misthaufen oder
Seide« ,
gleichgültig ist. Diese stoffliche Neutralität der Dingwelt ermöglicht nur die Hoffnung,
dass späterhin die ehemals nach Profitinteresse konstruierten Dinge ihren mit
eigner Seele erscheinenden Kapitalcharakter abgestreift bekommen und
solidarisch verwaltet werden können. Die Technik rebelliert nicht selbst; sie
deckt ihre naturmystische Seite nur auf in der Allianz mit der umwälzenden
Praxis.
Krahl
verleiht der Wissenschaft als emanzipative Kategorie im Klassenkampf eine
produktionsmystische Dimension. »Mit Wissenschaft als einer primären
Produktivkraft hat sich die reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital
gewandelt. Sie ist entgegenwirkende Ursache.« (S. 354) Zwar ist der
Wissenschaft eine zivilisatorische Tendenz immanent, doch immer formbestimmt
nach dem jeweiligen Kapitalinteresse. Die Wissenschaft stellt - wie in der Revolt
oft erhofft wurde - keine Sonderstellung zur Maschine dar: sie ist ökonomische
Kategorie und damit Fluch <55> und Segen zugleich, Fortschritt kraft der
Qualitäten des capital fixe, Überwindung der allgemeinen Bedarfsdeckung,
Produktion von gesellschaftlichem Reichtum; aber dies nur als kapitalistischer
Fortschritt, als Ausdruck der Produktion kapitaleigentümlichen Reichtums kraft
des relativen Mehrwerts. Ein Wandel »in der Totalität abstrakter Arbeit« (S.
348) kann sich ohne die Praxis der kämpferisch verbundenen Individuen, welche
die Wissenschaft - neben der gesamten Produktionsweise - ummünzen, nicht
einstellen. Dies war eine Hoffnung der von der Arbeiterklasse getrennt
kämpfenden Studenten. Die Wissenschaft ist stets Hebamme für die
kapitalistische Ausbeutung, bis die Vergesell-schaftungsqualitäten der reellen
Subsumtion der Arbeit unters Kapital mit den Interessen der Gattungsgeschichte,
d.h. durch die Übernahme des Proletariats, belebt werden.
In der
Krahlschen Form erfährt die Kategorie der produktiven Arbeit eine Erweiterung,
während sie in jener klassenanalytischen Aufbereitung des Begriffs, die den
mehrwerttheoretischen Kontext umstandslos zum klassentheoretischen macht, eine
Verlagerung erfährt. Neben der Erweiterung des Begriffs der produktiven Arbeit
vermittels eines »kombinierten Arbeitspersonals« betont Marx, dass die
Bestimmung der produktiven Arbeit nur »wahr (bleibt) für den Gesamtarbeiter,
als Gesamtheit betrachtet. Aber sie gilt nicht mehr für jedes seiner
Mitglieder, einzeln genommen« , denn
hier ist nur die Arbeit produktiv, die zur Selbstverwertung des Kapitals dient.
Vorerst gibt die Kategorie des Gesamtarbeiters ebensowenig an
klassentheoretischer Bestimmung her wie die der produktiven Arbeit. Die reelle
Subsumtion der Arbeit unter das Kapital entwickelt »die sozialen
Produktivkräfte der Arbeit« und damit »eine veränderte Gestalt der materiellen
Produktion. Andrerseits bildet diese Veränderung der materiellen Gestalt die
Basis für die Entwicklung des Kapitalverhältnisses (...)«. Unter
diesem, auf die Natur der Produktion gerichteten Aspekt ist der Begriff des
Gesamtarbeiters zu fassen, er leistet nicht bereits die Darstellung
kapitalnegatorischer Potenzen. Allerdings hat Krahl einen entscheidenden
Sachverhalt der Marxschen Theorie versucht revolutionstheoretisch zu befragen:
die »Anwendung von Wissenschaft und Maschinerie auf die unmittelbare
Produktion«
<56> im Zuge der reellen Subsumtion. Lukács hatte als einer der Wenigen,
als Mitarbeiter des Moskauer Marx-Engels-Instituts, die »Resultate« und die
»Grundrisse« einsehen können und auf Probleme der reellen Subsumtion
hingewiesen,
denen freilich revolutionstheoretisch noch nicht gefolgt wurde. Allgemein
lautet die Frage: »Wie verändert sich die Klassenstruktur, wenn die
verdinglichten Abstraktionen des Überbaus sich unmittelbar in die Produktion
zurückvermitteln?« (S. 165)
Die
heutige »Entfaltungsnotwendigkeit eines wissenschaftlichen Sozialismus« (S.
310) als Rekonstruktion revolutionärer Theorie gründet sich auf die
kapitalistische Onto-Logik, wie das Marxsche System als Kritik sie in den
Formbestimmungen des Werts denunziert. Mit der reellen Subsumtion der Arbeit
unter das Kapital wandelt sich die »kategoriale Verfassung der kapitalistischen
Produktionsweise«, die Wirtschaftswissenschaften werden selber gleichsam
aktienkapitalisiert zum Moment gesellschaftlicher Wahrheit; den ehemaligen
Totalitätsanspruch der progressiven Bourgeoisie haben sie fallen gelassen. Das
geschichtliche Prinzip der Produktion, d.h. die Geschichte konstituierende
Produktion der Produktionsmittel selber, die den Eintritt der bourgeoisen
Epoche kennzeichnet, hat sich im capital fixe festgesetzt. Damit haben sich die
»verdinglichten Abstraktionen des Überbaus« in die durch die kombinierte
Maschinerie qualifizierte Basis zurückvermittelt. Der Arbeitsprozess ist noch
einmal »in sich selbst vergesellschaftet« (S. 395). Dies verändert »die
technologische Verfassung des Arbeitsprozesses selber«; der Wechsel wird mit
dieser Vergesellschaftungsform der Produktion »immer produzierter« (S. 354).
Hieraus müsste folgen, dass die historisch materialistische Kritik am Verlauf
der bürgerlichen Kategorialität selbst, an der kapitalistischen Onto-Logik,
durch die potenzierte Vergesellschaftung der politisch-ökonomischen Kategorien -
in Gestalt der Smith-Ricardoschen - sich auf neuer Stufe zu begreifen hätte;
d.h. die Kritik der politischen Ökonomie erweitert sich durch die
Materialisierung ihrer Kategorien. Selbst Marxens These, Hegel gebe den Begriff
auf der Ebene der klassischen ökonomischen Theorie wieder, müsste nunmehr
dergestalt eingeholt werden: die Kategorialitäten der Bourgeoisie müssen
allesamt Gegenstand der Kritik werden. Marx <57> konnte eine Kritik des
bürgerlichen Selbstbewusstseins an den »Existenzweisen« der Bourgeoisie nicht
totaliter ausführen.
Die
revolutionäre Theorie, welche die Gegenstandsformen der Bourgeoisie zur
Umwälzung angreift, zerschlägt die Sprödigkeit ihrer begrifflichen
Verdinglichungen und verdinglichten Begrifflichkeiten; ihre kategorielle
-entfremdete- Totalität. Die Hegelschen Begriffe repräsentierten sie, wie die
Ricardoschen. Wie Marx die Kategorien als spezifisch bürgerliche überführt und
ihre Naturhaftigkeit vermöge der Analyse der Arbeit (Hegel) und der Ware ins
Wanken bringt, so muss die Kritik, nachdem dies geleistet ist und die Logik der
Kapitalakkumulation gesetzt ist, den verdinglichten Schein, die kategoriell
verfasste Realität insgesamt zerstören. Indem die Kritik der politischen
Ökonomie historisch ihre logischen Resultate erreicht - was freilich nicht
heißt, dass der Gang des Kapitalverhältnisses sistiert sei -, hebt sich die
Kritik gesamtgesellschaftlich auf; sie erreicht damit das Stadium der
gesellschaftlichen Entfaltung der Ökonomie, deren Formbestimmungen als
vergesellschaftete Erscheinungsweisen des Kapitalismus Aktienkapital - die neue
Totalisierungsqualitat angeben.
Die
Formbestimmungen der Kritik der politischen Ökonomie haben sich der
gesellschaftlichen Totalität auferlegt; zugleich ist diese ohne jene nicht
entschlüsselbar. Nicht nur das Selbstverständnis der Nationalökonomie ist
Gegenstand der Kritik, sondern das Selbstverständnis der Wissenschaften
überhaupt als mittlerweile in die Basis sich struktiv zurückvermittelnden
Produktivkräften. Die Kritik kann mithin allgemeiner ansetzen als die Marxsche.
Sie gewinnt eine metaökonomische Dimension; sie ist nicht nur Kritik der
politischen Ökonomie, sondern Kritik der Gesamtheit der heutigen Existenzweise
des Kapitals und der hierdurch bestimmten sozialen Beziehungen der Individuen.
VIII.
Die
reelle Subsumtion als kapitalistische Entfaltung der Gesellschaft über ihre
durch den absoluten Mehrwert gesteckten Schranken hinaus, der, entgegen dem
relativen, auf maschinenmäßig erweiterter Ausbeutung beruhenden, auf nackter
Gewalt und Ausdehnung des Arbeitstages basiert, hat einen weiteren Stimulus der
Entfaltung des relativen Mehrwerts geschaffen: die <58> Produktion von
Bedürfnissen unter Warenhaut, die vom - ehemals kampfbestimmenden - Movens
allgemeiner gesellschaftlicher Not und materiellen Elends des westeuropäischen
Proletariats losgelöst zu sein scheinen. Diese Produktion von Bedürfnissen
scheint der Möglichkeit der Entfaltung von Subjektivität entgegenzuwirken: »
Wie können Bedürfnisse nach einem Reich der Freiheit, des Friedens und des
Glücks ins Bewusstsein der Massen und zur politischen Erscheinung drängen, wenn
sie nicht mehr in den materiell vitalen Bedürfnissen nach der Beseitigung von
Hunger, materieller Not und physischem Elend verankert sind ? » (S. 298) Anders hieße die Frage: Wie sind
angesichts des entfalteten Kapitalismus, der Totalität des relativen Mehrwerts,
der Herrschaft der aktienkapitalistischen Eigentumsform der Subsumtion des
Gebrauchswerts unter den Tauschwert auf der Basis des kapitalistisch gesetzten
Gebrauchswerts - die Bedingungen von Subjektivität, von systemnegatorischer
Apperzeption und Praxis möglich? Wie konstituiert sich revolutionäres
Bewusstsein, wenn die logisch-ontologischen Totalitätskategorien sich
materialisiert haben ?
Die
Frage kann nur gestellt werden nach Maßgabe der bisherigen proletarischen Siege
und Niederlagen, angesichts der Bedingungen des entfalteten Kapitalismus, auf
dessen Boden die Theorie sich zu eingreifendem Denken herausarbeiten muss. Auf
diesem Stadium der »Konstitution des Klassenbewusstseins als eines parteilichen
Totalitätsbewusstseins« (S. 309) bewegen sich die revolutionären - der Kritik
der politischen Ökonomie abgewonnenen - Kategorien nicht mehr naturwüchsig in
der Immanenz von Elend und Gewalt. Verelendung ist tendenziell kein Begriff
lebensgeschichtlicher Unmittelbarkeit mehr, Elend und Gewalt müssen vermittelt
werden gegen unterdrückende Manipulation und bedürfen
materialistisch-erkenntniskritischer Analysen - freilich: dass Elend und Gewalt
sich globalisiert haben, von der Aushungerung der blühenden Städte Indiens
kraft der East-Indian-Company bis zur Ausblutung des halben Erdballs, ist
selber Teil der maximierten Exploitation des Kapitals; dieses aber produziert
seine eigenen »moralischen Elemente« in den angestammten Ländern des
Kapitalismus. Dies macht Aufklärungsarbeit in andrer Weise nötig als zu Marxens
Zeit. Die Begriffsbildung geht nicht naturwüchsig den Bedürfnissen der Massen
nach Emanzipation einher. Wenn die Kritik der <59> politischen Ökonomie
nicht mehr vorrangig als Kritik des nationalökonomischen Selbstverständnisses
die Konstitutionskategorien der Theorie der Revolution, stellt, dann erheischt
die Theorie eine metaökonomische Dimension; einen erneuten Rekurs auf die
Bedürfniswelt, die heute dem unnachlaßlichen Satz, dass die Befreiung der
Arbeiterklasse das Werk der Arbeiterklasse selbst sein muss, zugrunde liegt:
ihre Formbestimmtheit läßt sie entsinnlichter - nicht mehr vom tagtäglichen
ökonomischen Elend bestimmt, deshalb mit einer neuen Sinnlichkeit - zum
Gedanken drängen, als während der großen Siege der Arbeiterklasse - die
Zehnstundenbill als 'Sieg des Prinzips« (Marx) - im letzten Jahrhundert. Marx
und Engels hatten seinerzeit Fourier als Ahnherrn der Revolution gefeiert, der
ihr nach der utopistischen Philisterei Leben und Sinnlichkeit eingehaucht
hatte. Diese Seite gilt es der Revolution zu vindizieren, nachdem sie sich
Jahrzehnte auf die mechanistische Aufklärung hat depravieren lassen : auf die
soziologische Reduktion, dass Emanzipation sich decke mit der Entfaltung der
Maschinerie, der Produktivkräfte.
Die
Theorie der Revolution, wie sie mittels der Kategorien der Kritik der
politischen Ökonomie bei Marx und Engels entwickelt wurde, konnte sich noch
uneingeschränkt der bürgerlich vorgegebenen, sich emanzipierenden Sinnenwelt
versichert glauben, wie sie von der Aufklärung bis zu Feuerbach reflektiert
wurde und ein historisches Produkt der Entfaltung der Industrie war; dass die
fünf Sinne nunmehr - wie die Produktionsmittel - »produzierter« wurden,
universalisierte sie und hob sie aus der Unmündigkeit agrartradierter, der
ersten Natur subsumierten Unmittelbarkeit. Zugleich war mit dem proletarischen
und plebejischen Kampf der emanzipatorische Index gesetzt, dass der
Gebrauchswert der Sinnenwelt, die Bedürfniswelt nach freier Sinnlichkeit und
Befreiung, nicht formell-bürgerlich sich fixierte: als abgehobenes Reich der
Sittlichkeit. Die vorsichgehende Bewegung der Arbeiterklasse war Garant der
Emanzipation auch der Bedürfniswelt; eine befreite Sinnenwelt ist Konstituens
der Klasse für sich und mithin Kategorie des revolutionären Kampfes,
Rekreationsbasis und Grund der Identität kommunistisch verkehrender Individuen.
Deshalb beschrieb Marx den mühsamen Prozess, in dem über Lohnarbeit
zwangsinstrumentalisierte Proletarier sich emanzipative Gattungskräfte - hier
erst erhält der Feuerbachsche Begriff des Gattungsvermögens einen nicht mehr
anthropologischen Sinn - aneignen, als die Arbeit von Jahrzehnten <60>
und nicht als kurzfristig herzustellendes Jerusalem. Die Revolt versuchte den
Vorschein des künftigen Jerusalem zu fassen; sie hat damit ein Sensorium und
eine Kompromisslosigkeit vorgegeben, hinter welche die kommenden Kämpfe nicht
werden zurückweichen können. Zugleich hat sie sich als Klasse für sich propagiert,
als sei die Klasse an sich zum Selbstbewusstsein ihres Warencharakters gelangt.
Die konkrete Utopie war nur Schein, immer noch mehr studentischer Lebensentwurf
als verallgemeinerbares revolutionäres Lebensbedürfnis. Dieser aber muss die
Theorie reflektieren, da es nicht mehr naturwüchsig sich zum Gedanken erhebt.
Die Theorie muss als revolutionäre sich der - jeweils formbestimmten -
Gebrauchswertseite der Ware Arbeitskraft zuwenden - nicht der für das Kapital,
sondern der für sich - : der Seite möglicher kapitalnegatorischer Qualitäten,
und sie als Konstituens in sich aufnehmen. Die »Beziehungen der Freiheit (...)
betreffen«, wie Marx pointiert, »den Inhalt, die Gebrauchswerte oder
Bedürfnisse als solche, d.h. in seinen ökonomischen Formbestimmungen
betrachtet«.
Diese Dimension gesehen und als Notwendigkeit theoretischer Arbeit
vorangestellt zu haben, ist der bedeutende Impetus der letzten Arbeiten von
Krahl; er fordert »eine Theorienbildung, die abstrakte Totalitätskategorien
immanent mit Begriffen der Bedürfnisbefriedigung verbindet.« (S. 345)
Für die
Rekonstruktion der Theorie ergeben sich drei entscheidende Probleme der
»historischen Genesis des Klassenbewusstseins, und zwar 1. als Problem einer
Rekonstruktion revolutionärer Theorie als einer Lehre, deren Aussagen die
Gesellschaft unter dem Aspekt radikaler Veränderbarkeit begreifen. 2. Der
Wiedergewinnung einer Dimension materialistischer Empirie von
Bedürfnisbefriedigung und Interessenerzeugung. 3. Das Problem der Umsetzung der
Theorie ins Bewusstsein des Proletariats.« (S. 343) Theorie muss wieder zur
»reflektierten Artikulation von Spontaneität« (S. 344) werden, wie die Praxis,
die sich über sie vermittelt.
In der
Tat muss, nachdem die elfte Feuerbachthese immer noch nicht wirklich geworden
ist, die Welt gerade deshalb auch interpretiert werden. Dabei hat die Frage,
»ob diese Kritik der politischen Ökonomie zu einer Theorie der Revolution
wirklich vermittelt worden ist?« (S. 385), weniger den Sinn, die Marxsche
Theorie flohknackerisch zu sezieren, als, sich den Status heutiger
Theorienbildung zu erhellen, die gerade nach <61> Maßgabe der Marxschen
Kritik die Interpretation zur Umwälzung leisten muss. Für Krahl ist deshalb
»das Verhältnis von Produktion und Klassenkampf; das Verhältnis von Kritik der
politischen Ökonomie als einer kritischen Theorie der kapitalistischen
Produktion und des Historischen Materialismus als einer Theorie der
Revolutionen und Klassenkämpfe (...) problematisch geworden.« (S. 385)
Die
Bedürfnisse nach Befreiung sind der Theorie nicht mehr in dem Maße
eingeschrieben wie bis zur II. Internationale. Die »Ebenen der entfremdeten
Arbeit, des verdinglichten Bewusstseins und verarmten Lebens« (S. 330) bedürfen
erneuter theoretischer Reflexion; der »erste Zugang ... zu den Massen ist die
wissenschaftliche Anstrengung, ihre Bedürfnisstruktur zu erkennen« (S. 321).
Nachdem die Nomenklatur und der Entwicklungsgang des kapitalistischen Systems
theoretisch entschlüsselt sind, bedarf es, neben der Darstellung und Kritik der
historischen Verlaufsform des Kapitalverhältnisses, erneut des begrifflichen
Rekurses auf die Genesis der Revolution, auf Emanzipationskategorien, die der
daseienden Bewegung als negatorische Potenzen innewohnen. Zwar überakzentuiert
Krahl, wenn er ein Fehlen der Konstitutionsproblematik bei Marx feststellen
will - »die Frage nach der Genesis der Revolution fällt aus der Marxschen
Theorie der Klassenkämpfe heraus« (390), oder gar im Sinne von Habermas und
Wellmer, als sei Kautsky der Adressat oder Stalin: »Marxens Theorie des
Klassenkampfes apriorisiert die historische Dialektik von bürgerlicher und
proletarischer Revolution zu einer Metaphysik des Klassenbewusstseins als
Weltgeist« (S. 390) -, doch weiterführend bleibt die Intention auf der
Gebrauchswertseite der je kapitalfixierten Formbestimmungen, jenes Moment von
Nicht-Identität in der Praxis, dem Alltagsleben des Proletariats, welches das
Kapital auf je neuer Stufe mitproduzieren muss, will es sich weiter entfalten:
Kooperationsformen, Revoltformen der Ware Arbeitskraft, deren sie bedarf, um
sich als Lohnarbeiter reproduzieren zu können gegen die Tendenz des Kapitals,
die Exploitationsschranke anzuheben; Qualitäten wie Glück und Leid, die sich
der Quantifizierung zum Warencharakter, der Levellung nach Arbeitszeitmaßen
sperren. Hier hat nach Krahl die Arbeit der wissenschaftlichen Intelligenz
einzusetzen, »Emanzipationskategorien für die Arbeiterbewegung« zu entwickeln
»nach Maßgabe ihrer Produktivität kapitalnegatorischer Momente. Erst im Rekurs
auf proletarische Emanzipationskategorien <62> ließe sich
wissenschaftliche Arbeit im proletarischen Sinne durchschauen, könnte die
Objektivation der Klasse zum Klassenkampf geleistet werden.« (S. 388)
Es ist
freilich fraglich, ob die wissenschaftliche Intelligenz, vereinnahmt im
Gesamtarbeiter, - und sei es auch nur als Iiberalistisch-moralische Kategorie -
sich ihrer Warenhaut entledigen, die Kommandostationen des Kapitals wird
aufgeben wollen, um sich der revolutionären Theorie zu widmen. Für die Linke
indessen bleibt »die neue Entfaltungsnotwendigkeit eines wissenschaftlichen
Sozialismus« außer Zweifel: »Wissenschaftlicher Sozialismus, will er
sozialrevolutionäre Phantasie erzeugen und potentielles Klassenbewusstsein
aktualisieren helfen, muss gerade die Formulierung der konkreten Utopie
leisten.«
Die
sozialistische Theorie hat mithin zur historischen Fortführung der Negation als
Theorie sowohl die »Pathologie« des Proletariats (Marx), wie dessen
Emanzipationsformen in sich aufzunehmen; jene Genesis materialistischer
Hoffnung, die hinter ihrer kapitalistischen Geltung sich verbirgt: den Formen
der Subjektivität der Ware Arbeitskraft. »Proletarische Individualität basierte
auf der besitzlosen Stellung im Produktionsprozess und realisierte sich in der
Organisation des Klassenkampfes. Die langfristige lebensgeschichtliche
Perspektive des proletarischen Individuums war die von Ausbeutung und Elend
oder revolutionärer Befreiung.« (S. 340) An der Einsicht in diese Perspektive
lebenslangen Elends - auch unter den verwandelten Formen desselben unter dem
relativen Mehrwert - hängt die Möglichkeit der Revolution. Die Theorie als
»materialistische Empirie« (S. 309) hat die kapitalnegatorischen Seiten des
Arbeitsprozesses zu untersuchen und in sich aufzunehmen. Dies heißt für ihre
Praxis, die negatorischen Qualitäten zu forcieren in eingreifendem Denken, in
der Praxis des »verstandesgemäßen Ausdrucks« der Volksmassen, so Engels, »ihrer
von ihnen selbst noch unverstandenen, nur erst unbestimmt gefühlten
Bedürfnisse« .
Nachdem die Kritik der politischen Ökonomie gezeigt hat, »wie dieses Verhältnis
selbst produziert wird«, so muss die konkrete Utopie »zugleich in ihm die
materiellen Bedingungen seiner Auflösung«, die es produziert, aufdecken.
<63>
»Revolutionäre Theorie als revolutionäre Theorie des Spätkapitalismus steht
noch aus« (S. 251); ihre Konstruktion wird die Ansätze von Krahl verfolgen, der
unnachgiebig auf jenen zu materialisierenden Emanzipationsbegriff gepocht hat,
der die Herstellung des Reichs der Freiheit nicht verkürzt an der Vergesellschaftung
der Produktionsmittel alleine festmacht. Was in den Niederlagen der letzten
Jahre erlag, war - wie Marx von den Klassenkämpfen in Frankreich berichtet -
»nicht die Revolution. Es waren die vorrevolutionären traditionellen Anhängsel,
Resultate gesellschaftlicher Verhältnisse, die sich, noch nicht zu scharfen
Klassengegensätzen zugespitzt hatten - Personen, Illusionen, Vorstellungen,
Projekte, wovon die revolutionäre Partei vor der Februar-Revolution nicht frei
war, wovon nicht der Februarsieg, sondern nur eine Reihe von Niederlagen sie
befreien konnte.«
Vorläufige Thesen zum revolutionären Marxismus
I.
1.
Gegenstand der politischen Ökonomie war die über die Ware totalisierte Welt
(Weltmarkt). Index dieser formellen Totalität war die höchste Form des Geldes
als »allein adäquates Dasein des Tauschwerts« (Marx) in Gestalt der zum
Begriff, zum Geldzeichen immaterialisierten Gesellschaftlichkeit der Arbeit
(Weltgeld). Damit hatten sich die gesellschaftslichen Verhältnisse als Ausdruck
der menschlichen Arbeit in abstracto verdinglicht. Begriff (bürgerliche
Denkformen) und Verdinglichung als Ausdruck der über die Geldform
synthetisierten Welt korrespondieren miteinander. Auf dieser logischen Stufe
der Entfaltung der ware behandelt bekanntlich Lukács die
Konstitutionsbedingungen von Klassenbewusstsein.
2. Der
Entfaltung der Kategorie der Ware in Gestalt der Geldformen als dialektische
daseiende Logik folgt der Gang der kapitalistischen Geschichte anhand ihrer
Kategorien als progredierend akkumuliertem Mehrwert. Marx geht der Logik der
Kategorien bis zu ihrem Endpunkt, bis die Welt zu einer neuen Begrifflichkeit
qualifiziert ist, nach: Aktienkapital und automatisches System der Maschinerie;
erst hier wird das Kapital seinem Begriff formell adäquat. Auf dieser Stufe,
die durch Monopolbildungen gekennzeichnet ist, sowie auf der der reellen
Subsumtion der Arbeit unter das Kapital, realisiert sich erst die Produktion um
der Produktion willen. Hier findet die »volle Entwicklung des Kapitals« und die
»aktive Subsumtion« der lebendigen Arbeit unter die vergegenständlichte als
capital fixe statt.
3.
Neben der Produktion des capital fixe, das sich »als Selbstzweck setzt« (Marx),
als Subjekt des Produktionsprozesses, geht dieser entfalteten Gestalt des Kapitalverhältnisses
die »reiche Entwicklung des sozialen Individuums« einher; vom Standpunkt des
unmittelbaren Produktionsprozesses als Produktion von capital fixe: »dies
capital fixe being man himself« (Marx).
4. Die
immanenten Tendenzen des Kapitals haben sich heute materialisiert; die von Marx
aufgezeigte Logik des Kapitalverhältnisses hat sich realisiert. Und damit
zugleich die der kapitalistischen Logik immanenten Schranken, die sich in
Krisen und der der Selbsterhaltung des Kapitals dienenden »gewaltsamen
Vernichtung von Kapital« (Marx) permanent setzen. Das Kapital als der
»prozessierende Widerspruch« ist nach Maßgabe des Endpunktes der Logik des
Kapitalverhältnisses (dies impliziert freilich nicht das Ende seines
historischen Verlaufs) in Erscheinung getreten und begründet damit die Basis zu
seiner revolutionären Aufhebung.
II.
1 . Mit
Monopolbildungen als potenzierter Gestalt der aktienkapitalistischen
Eigentumsform - »Aufhebung des Kapitals als Privateigentum innerhalb der
Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise selbst« (Marx) - ist der
»künftigen Expropriation durch die Gesamtgesellschaft aufs erfreulichste
vorgearbeitet« (Engels). Dies heißt aber zugleich, dass die materialisierte
Logik der Marxschen Nomenklatur des Kapitalverhältnisses als »gewaltige
Vergesellschaftung der Arbeit« (Lenin) sich dem Alltagsleben der Lohnarbeiter
aufherrscht; es wird - kapitalistisch - vergesellschaftet. Das einzelne
Arbeitsvermögen, Geschick und Gehirn, verschwindet im Verhältnis zur Allgewalt
des wissenschaftlich betriebenen Systems der Maschinerie, im »qualitativen
Missverhältnis zwischen der auf reine Abstraktion reduzierten Arbeit und der
Gewalt des Produktionsprozesses« (Marx).
2. Vom
Produktionsprozess her korrespondiert diesem Zustand die reelle Subsumtion der
Arbeit unter das Kapital. Sie ist charakterisiert durch das unmittelbare
Eingehen der »gesellschaftlichen Wissenschaft« (Marx) in die Produktion, durch
die Veränderung der Natur des Arbeitsprozesses: »Es werden die sozialen
Produktivkräfte der Arbeit entwickelt« (Marx). Zugleich wird der Produzent zum
»bloßen Produktionsmittel« (Marx) herabgewürdigt. Der Akkumulationsprozess
schließt in neuer Form die Schöpfung von Lohnarbeitern ein: die »kombinierte
Tätigkeit« der Arbeitsvermögen wird zum »sozial kombinierten Arbeitsvermögen«.
Dienstleistungen und seither außerhalb der Lohnarbeit stehende Tätigkeiten
(engeneer, Arzt) werden in Lohnarbeiter verwandelt.
3.
Durch die aktienkapitalistische Formbestimmung des Kapitalverhälfnisses wird
die Gesellschaft durchkapitalisiert, vergesellschaftet auf dem Boden des
Kapitalverhältnisses; durch die reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital
ist die unmittelbare Arbeit gesellschaftliche geworden. Damit ist die Potenz
entwickelt zur Übernahme der Vergesellschaftung durch die Produzenten, sowie
zur Entfaltung der »emanzipierten Arbeit« (Marx).
4.
Vermöge der durch die Monopole geforderten »Staatseinmischung« (Marx) und der
reellen Subsumtion in der »Anwendung von Wissenschaft und Maschinerie auf die
unmittelbare Produktion« (Marx) hat sich der Überbau (Staat, Wissenschaft) in
die Basis zurückvermittelt. Der Stoffwechsel der Menschen mit der Natur und
untereinander (Verkehrsweise) wird formbestimmt gemäß der
aktienkapitalistischen Verlaufsform des Kapitalverhältnisses. Die
Verdinglichung als Phänomen der Ware in der Totalität der Geldform
materialisiert sich damit auf höherer Stufe und wird dem Kapital adäquat; sie
geht in die Produktion (capital fixe; reelle Subsumtion) zurück. Damit ist
Verdinglichung (fortbestehende, an die Ware gebundene Mystifikation) als
Mystifikation des Kapitalverhältnisses, als Prozess, zur reellen Totalität
geworden. Revolutionstheoretisch ist mithin zu fragen: Wie ist angesichts der
Totalität des Kapitalverhältnisses revolutionäre Subjektivität möglich?
III.
1 . Die
Totalitätskategorien der Kritik der politischen Ökonomie (Ware, Kapital)
stellen dar die prozessierende Identität von Identität und Nichtidentität; d.h.
durch die Formbestimmungen hindurch entfalten sich nichtidentische,
kapitalnegatorische Potenzen. Dem formell erreichten Endpunkt der Logik des
Kapitalverhältnisses mit Aktiengesellschaftsform und reeller Subsumtion der
Arbeit unters Kapital geht einher die Erweiterung der Bedingung des
Erkenntnissubjekts. Mit der Verwandlung von Diensten in Lohnarbeit, durch das
»sozial kombinierte Arbeitsvermögen«, mit dem Einsaugen kleinbürgerlicher
Tätigkeiten in die gesamte produktive Maschine erweitert sich das Quantum
derer, welche die Bedingungen der Möglichkeit zur Entwicklung von Klassenbewusstsein
erfüllen.
2. Geht
dieser Vorgang von der formellen zur reellen Bestimmung fort und ergreift den
Arbeitsprozess, so ergeben sich klassentheoretische Konsequenzen. Lohnarbeiter
sind Menschen, die ihre Ware Arbeitskraft zu verkaufen gezwungen sind. In der
Kategorie des Lohns steckt für das Kapital die Möglichkeit, die Ausbeutung über
den Mehrwert zu verschleiern (»gerechter« Lohn). Mit dem Lohnverhältnis als
reelle Bestimmung ist aber die Möglichkeit der Einsicht in die Ausbeutung über
Mehrwertschöpfung gegeben, in die Dialektik von Lohnarbeit und Kapital; d.h. in
die Reproduktion des Kapitalverhältnisses: die Bedingung der Möglichkeit zur
Entfaltung des Selbstbewusstseins der Ware Arbeitskraft.
3.
Durch die reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital hat die Arbeiterklasse
eine neue Formbestimmung erfahren. Unter Bedingungen der formellen Subsumtion
der Arbeit unter das Kapital fiel der Begriff der Lohnarbeit vom Gesamtkapital
her mit produktiver Arbeit zusammen (Lohnarbeit und Kapital). Unter Bedingungen
der reellen Subsumtion ist Lohnarbeit (als Kategorie des Gesamtkapitals) nicht
mehr nur durch die Produktion von Mehrwert bestimmt, sondern auch unproduktive
Tätigkeiten, wie Dienstleistungen und Gattungsgeschäfte, sind unter die Form
des Mehrwerts subsumiert. Lohnarbeit ist Bedingung des Kapitalverhältnisses und
logisches Konstituens von Klassenbewusstsein. Die Kritik der politischen
Ökonomie stellt die Logik der Formen dar. Die logischen Bestimmungen sind
jedoch noch nicht zureichende Bedingungen für die Konstitution von
Klassenbewusstsein. Neben der allgemeinen Formbestimmung seiner
Konstitutionsbedingungen gilt es die besonderen Erscheinungen der Lohnarbeit,
ihre einzelkapitalistischen Konkretionsformen, zu untersuchen. Daraus ergibt
sich, dass die Klassenanalyse weder objektivistisch verkürzt an der Kategorie
der produktiven Arbeit ansetzen kann, noch davon ausgehen kann, mit der Analyse
der Arbeit unter Bedingungen der reellen Subsumtion als Lohnarbeit,
Klassenbewusstsein mitgeliefert zu haben. Ob die Kategorie des
Klassenbewusstseins konkret wird, ist natürlich keine logische, sondern eine
praktische Frage.
4. Die
neue Qualität von Lohnarbeit ist unter Bedingungen der reellen Subsumtion, d.h.
der Veränderungen in der Natur des Arbeitsprozesses, auf die Bedingungen hin zu
untersuchen, die sinnlich und begrifflich Erfahrung als Erkennen der
Mystifikationen des Kapitalsystems unter dem Aspekt seiner Negation anzeigen.
Der Kampf der Arbeiter (Sabotage) gegen die kapitalistische Anwendung der
Maschine, die sie aktiv subsumiert, und gegen den Arbeitsprozess, der die
Entfaltung seiner reichen und sozialen Individualität verhindert, kennzeichnet
die neue Form der Entfaltung von Klassenbewusstsein. Die einsetzenden Kämpfe -
vorwiegend noch die des italienischen Proletariats - greifen unmittelbar die
Existenz des Kapitalsverhältnisses an.
5. Der
neuen Formbestimmtheit der Arbeiterklasse geht einher, dass tendenziell nicht
mehr mit Revendikationen gegen ökonomische Verelendung gekämpft wird. Eine neue
Sinnlichkeit und Bedürfnisdimension geht in die Arbeitskämpfe der letzten Jahre
ein. Anders als zu Marxens Zeit, als die Zehnstundenbill den »Sieg des
Prinzips« darstellte, werden heute Kategorien der sozialen Emanzipation,
Forderungen zur Entfaltung des »gesellschaftlichen Individuums« und »sozialer
Beziehungen« (Marx) in die Kämpfe aufgenommen. Dieser Entfaltung proletarischer
Subjektivität muss eine »materialistische Empirie« sich zuwenden.
IV.
1. Die
Materialisierung der immanenten Tendenzen des Kapitals erweitert die politische
Ökonomie als vorrangig daseiende Kategorialität des kapitalistischen Systems.
Die offiziellen Wirtschaftswissenschaften fungieren praktisch als Regelsysteme,
indem sie ausschließlich Subsysteme thematisieren; sie beanspruchen nicht mehr,
Einsicht in die Totalität der kapitalistischen Reproduktion zu gewinnen. Eine
revolutionäre Theorie kann deshalb an einem heutigen Smith oder Ricardo nicht
nehr ans etzen (Krahl). Die Formbe-timmungen der Marxschen Kritik der
politischen Ökonomie haben, indem sie ihre logischen Resultate historisch
ereichen, sich der gesellschaftlichen Totalität auferlegt. Diese ist ohne jene
nicht zu entschlüsseln, aber die Vorherrschaft der Kritik der politischen
Ökonomie - als Basiswissenschaft - erweitert sich, die Kritik kann allgemeiner
ansetzen als zur Zeit Marxens. Die Kritik muss jene metaökonomischen
Kategorien, die dem Marxschen Werk als ökonomiekritische inhärent sind
(technologische, soziologische und psychologische), weiter thematisieren.
2. Der
Kapitalismus ist mit der Formbestimmung seiner Endpunkte noch nicht sistiert.
Er ist seinem Begriff noch nicht derart adäquat geworden, dass der
gesellschaftlich struktive Klassenantagonismus sich eindimensionalisiert hätte
zum »Volk« und einigen sinnlichen Restbeständen zurückgebliebener
Charaktermasken von Monopolmanagern und -eignern. Diese inhaltliche Adäquation
des Kapitalbegriffs fiele mit seinem Untergang in Sozialismus oder dem Rückfall
des ganzen Systems in geschichtslose Barbarei zusammen. Das Kapital wird sich nicht
selbstliquidatorisch organisieren, das Proletariat hat sich noch nicht
kapitainegatorisch organisiert. Die immanente Transzendenz des
Kapitalverhältnisses ist noch praktisch herzustellen. Das Vertrauen der II.
Internationale auf die Objektivität des Geschichtsverlaufs zum Sozialismus
stellte seinerzeit tatsächlich die Notwendigkeit der Revolution in Frage. Heute
stellen spekulative Theorien über die Produktivkraft Wissenschaft als neuer
Mehrwertquelle den fortgeschrittenen Revisionismus dar. Er impliziert, dass die
wissenschaftliche Intelligenz - da die Gesellschaft sich verwissenschaftliche -
zur Avantgarde werde, als Erkenntnisträger mit proletarischer Funktion.
3. Die
Theorie muss den veränderten Bedingungen des Kapitalverhältnisses seit der
Marxschen Kritik nachgehen, ökonomiekritisch die Kapitalformen bestimmen und
untersuchen, wie sich angesichts der kapitalistischen Formbestimmungen die
Formen proletarischer Subjektivität gewandelt haben; wie sich Warenformen,
Kapitalformen, Klassenkampfformen im entfalteten Kapitalismus je zu ihrem
Begriff in der Marxschen Theorie verhalten.Dies erfordert die revolutionäre
Einheit von Denken und Handeln, die Einheit von Analyse, Aufklärung und Aktion.
4. Die
Begriffsbildung der Kritik geht nicht mehr naturwüchsig mit den Bedürfnissen
der Massen nach Emanzipation einher, wie zur Zeit von Marx und Engels
(weltweite kämpferische Organisierung der Arbeiterklasse). Das Anwachsen des
organisierten Proletariats schien die Möglichkeit des Kapitals zu dessen
Ausbeutung zu überflügeln. Die Theorie erheischt jetzt eine metaökonomische
Dimension: einen erneuten Rekurs auf die Bedürfniswelt unter intensivierten
Kapitalbedingungen, auf die Formen proletarischer Subjektivität, welche die
Bedingung des Satzes bilden, dass die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk
der Arbeiterklasse selbst sein kann. Die konkrete Utopie der Revolt von 68 war
immer noch mehr studentischer Lebensentwurf als verallgemeinerbares
revolutionäres Lebensbedürfnis. Dieses aber muss die Theorie reflektieren; sie
muss die vorhandnen Formen proletarischer Subjektivität, die formbestimmte
Gebrauchswertseite der Ware Arbeitskraft als Konstituens in sich aufnehmen.
V.
1. Der
außerökonomische Gebrauchswert ist durch das automatische System des capital
fixe und die reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital zur ökonomischen
Kategorie geworden. Die ganze Sinnen- und Bedürfniswelt ist dem Kapital
subsumiert. Zu fragen ist, wie Bedürfnisse nach Befreiung vermittels und trotz
des Kapitalverhältnisses sich konstituieren, ob vom Gebrauchswert (als
Bedürfniskategorie der Ware Arbeitskraft verstanden, also in der Dialektik von
Gebrauchswert und Tauschwert), der in seiner kapitalistischen Formbestimmtheit
nicht aufgeht, gesprochen werden kann: als Moment von Nicht-Identität. Mit dem
völligen inhaltlichen Aufgehen in die jeweilige Formbestimmtheit, mit der
totalen Tauschwertbestimmtheit des Gebrauchswerts, wären die Einsicht in die
Notwendigkeit der Revolution oder die Bedürfnisse nach Befreiung nicht möglich.
2.
Intention auf die Gebrauchswertseite nach Maßgabe ihrer jeweiligen Formbestimmtheit
heißt: Untersuchung der Momente von Nicht-Identität in der Praxis, dem
Alltagsleben des Proletariats, welche das Kapital mitproduzieren muss, will es
sich weiter entfalten: Kooperationsformen, Revoltformen der Ware Arbeitskraft,
deren sie bedarf, um sich als Lohnarbeiter reproduzieren zu können gegen die
Avancen des Kapitals, die Exploitationsschranken anzuheben; Qualitäten wie
Glück und Leid, die sich der Quantifizierung zum Warencharakter, der
Taylorisierung nach Arbeitszeitnormen sperren.
3.
Nachdem die Nomenklatur und der Entwicklungsgang des kapitalistischen Systems
theoretisch entschlüsselt sind, bedarf es neben der Darstellung und Kritik der
historischen Verlaufsform des Kapitalverhältnisses erneut des begrifflichen
Rekurses auf die Genesis der Revolution, auf Emanzipationskategorien, die der
daseienden Bewegung als negatorische Potenzen innewohnen. Die sozialistische
Theorie hat mithin zur historischen Fortführung der Negation als Theorie sowohl
die vom Kapital gesetzten »Pathologien des Proletariats« (Marx) wie dessen
Emanzipationsformen in sich aufzunehmen, jene Genesis materialistischer
Hoffnung, die hinter ihrer kapitalistischen Geltung sich verbirgt: Formen der
Subjektivität der Ware Arbeitskraft. Die Subjektivitätskategorien reflektieren
das Bewusstsein von den aktuellen Formen der Ausbeutung über den relativen
Mehrwert. An der Einsicht in die Perspektive lebenslangen Elends als
Lohnarbeiter - auch unter den verwandelten Formen desselben unter dem relativen
Mehrwert - hängt die Möglichkeit der Revolution. Die Theorie hat neben den
Schranken der Kapitalformen zu seiner Selbstreproduktion die kapitalnegatorischen
Seiten des Arbeitsprozesses zu untersuchen und in sich aufzunehmen, sie hat die
Dimensionen von Subjektivität zurückzuvermitteln zur Kritik der politischen Ökonomie.
Das heißt für ihre Praxis, die negatorischen Qualitäten zu forcieren. Nachdem
die Kritik der politischen Ökonomie gezeigt hat, »wie dieses Verhältnis selbst
produziert wird«, muss die konkrete Utopie des wissenschaftlichen Sozialismus
»»zugleich in ihm die materiellen Bedingungen seiner Auflösung«, die es
produziert, aufdecken (Marx).
Seitenzahlen nach H. Reinicke, Für Krahl, Merve-Verlag,
Berlin 1973
Marx,
Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses,
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